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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Piggers Kehle. »Dieser Mann, der meinen Freund in die Grube zu den Hunden schicken will, ist des Todes, wenn auch nur einer von euch sich muckst. So wahr ich Vitus von Campodios heiße!«
    Das Gesindel wich zurück. Die Männer guckten böse und steckten trotz der Warnung die Köpfe zusammen. Sie waren ihrer zwanzig oder dreißig, und dies hier war nur einer, wenn man von der halben Portion des Magisters einmal absah. Schließlich blickten sie wieder auf, und in ihren Augen stand Mordlust.
    Sie zogen den Kreis wieder enger zusammen.
    »Halt, sage ich!« Der Blonde nahm die Degenspitze von Piggers Kehle und hielt die Waffe halbhoch vor sich. »Glaubt mir, ich verstehe damit umzugehen.«
    Der Ring schloss sich noch weiter.
    Und dann ging alles blitzschnell.
    Der Blonde schoß vor, und ehe die Halunken sich’s versahen, hatte ein kreisförmiger Hieb ihnen die Hemden aufgeschlitzt. Niemand wurde dabei ernsthaft verletzt, doch aus mehreren Schnittwunden sickerte Blut. Pigger, der ebenfalls getroffen worden war, schrie auf und wandte sich zur Flucht. In seinem Bemühen, schnell von dem Blonden fortzukommen, prallte er gegen einen baumlangen Seemann, der von hinten einen Blick zu erhaschen suchte.
    »Du Tölpel!«, schrie der Lange. »Erst verdeckst du mir die Sicht, und jetzt trittst du mir noch auf die Füße!« Er versetzte Pigger einen mächtigen Haken.
    Pigger schüttelte sich, um den Schlag zu verdauen. Die Angst vor dem Blonden war für einen Augenblick vergessen. Dies war eine Situation, wie er sie kannte – und gern hatte. Er duckte sich und schlug zurück. Es war ein tückischer Schlag, mitten in die Magengrube. Der lange Seemann klappte nach unten wie eine Falltür. Pigger atmete durch und wollte seine Flucht fortsetzen, doch ein weiterer Seemann stellte sich ihm in den Weg. Der Neue machte nicht viel Federlesens. Ohne ein Wort zu sagen, schlug er zu. Pigger taumelte. Endlich kamen ihm seine Kumpane zu Hilfe und prügelten auf den langen Seemann und seinen Kameraden ein. Der keilte zurück. Der ursprüngliche Streit war vergessen. Fäuste flogen. Flüche und Verwünschungen wurden laut. Im Nu war eine Massenschlägerei im Gange.
    Der kleine Gelehrte packte seinen Retter am Ärmel. »Komm, Vitus, man scheint auf unsere Anwesenheit keinen Wert mehr zu legen!« Zielstrebig bahnte er sich einen Weg aus dem Getümmel.
    Hundert Schritte weiter, als der Kampflärm nur noch wie durch einen Filter zu ihnen drang, verschnaufte der Magister kurz. »Danke, Vitus, das war knapp! Hätte mich vielleicht nicht einmischen sollen, aber diesem Mistkerl Pigger wollten Enano und ich unbedingt das Handwerk legen.«
    »Es ist ja noch mal gut gegangen. Wo ist Enano überhaupt?«
    Vitus blickte sich suchend um.
    »Ja, wo steckt er denn schon wieder?« Auch der kleine Gelehrte machte einen langen Hals. »Egal, den Tag, an dem der Wicht verloren geht, muss Gott der Allmächtige erst noch werden lassen. Enano versteht’s wie kein anderer, auf sich selber aufzupassen. Wahrscheinlich sitzt er längst wieder im Black Swan und fragt sich grienend, wo wir bleiben.«
    The Black Swan, ein Wirtshaus der besseren Sorte, dessen Eigentümer auch Zimmer vermietete, lag in der Thames Street, Ecke Water Mark Lane, unweit des Towers. Hier hatten Vitus und seine Freunde Quartier bezogen, als sie vor zwei Tagen eingetroffen waren. Die Unterkunft hatte den Vorteil, dass sie einerseits ganz in der Nähe von Banester House lag, andererseits nur wenige Yards von den Kais und Anlegern entfernt war, einem Gebiet, wo das Leben Tag und Nacht pulsierte.
    Eigentlich, so war es abgesprochen gewesen, hatten der Magister und der Zwerg im großen Gastraum warten sollen, bis Vitus mit seiner Prüfung fertig war, doch hatte ihnen das zu lange gedauert, und sie waren zum Themse-Ufer gegangen, um sich die Beine zu vertreten. Dass sie dabei in Lebensgefahr geraten würden, hätten sie sich nicht träumen lassen – und doch war es so gekommen.
    Nur der Tatsache, dass Vitus sie so schnell aufgespürt hatte, verdankten sie ihr Leben.
     
    Wie der Magister prophezeit hatte, saß der Zwerg bereits bei einer kräftigen Mahlzeit, als die beiden Freunde kurze Zeit später das Wirtshaus betraten. Im Schankraum herrschte um diese Zeit schon drangvolle Enge, so dass es schwer fiel, einen Fuß vor den anderen zu setzen. An langen, auf Böcken liegenden Holzbrettern saßen die Zecher und scheuchten die Mägde umher. Man lachte, scherzte, schmatzte, rülpste und furzte ungeniert.

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