Der Chirurg von Campodios
bevor Jawys Attacke kam, elegant zurückgesprungen war.
Es würde schwer werden. »Ich spieße dich auf wie ein Spanferkel«, knurrte Jawy.
»Und ich werde dich töten.« Vitus staunte, mit welcher Ruhe er diese Drohung aussprach. Wollte er Jawy wirklich töten? Er, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hatte, Menschen vor dem Tod zu bewahren? Er kam nicht weiter mit seinen Gedanken, denn Jawy griff erneut an. Er tat es wie ein Sturm, mit gewaltigen Hieben, die so schnell waren, dass man ihnen kaum ausweichen konnte. Wieder und wieder schlug der Pirat zu, und Vitus sprang ein ums andere Mal zurück. Er wehrte den heranzischenden Degen ab, parierte das Rapier, sah sich schon wieder dem Degen ausgesetzt, dem Rapier, dem Degen … und wurde dergestalt durch den ganzen Raum getrieben.
»Hüpf nur, Hasenfuß«, schnappte Jawy, »gleich habe ich dich.« Und in der Tat sah es bedrohlich aus, denn der Pirat hatte es verstanden, Vitus in eine Ecke des Kontors zu drängen, wo es ihm kaum möglich war, den blitzartigen Vorstößen auszuweichen. Neue Hiebe prasselten auf ihn herab, es schien, als würde Jawy über unerschöpfliche Kraftreserven verfügen.
Vitus keuchte. Er merkte, dass er lange nicht mehr gefochten hatte. Wenn der rasende Jawy so weitermachte, hatte bald sein letztes Stündlein geschlagen. Doch so weit war es noch nicht. Irgendwann musste auch ein Jawy Cutter ermüden.
Ein neuer, noch gewaltigerer Streich zischte heran, Vitus riss den Arm hoch, um ihn abzuwehren, doch bedingt durch die Enge war sein Parierschlag nicht präzise genug, Jawys Klinge glitt ab und traf ihn an der Schulter. Triumph blitzte in den Augen des Piraten auf. Für den Bruchteil eines Augenblickes wurde er unaufmerksam.
Das war Vitus’ Chance. Er ignorierte den Schmerz und sprang, mit dem Kopf voran, direkt auf Jawy zu. Es war ein Ausfall, wie er in keinem Lehrbuch stand, aber er war erfolgreich, und nur das zählte. Jawy prallte durch den Kopfstoß zurück und gab so Raum frei für Vitus, der mit einer schlangengleichen Bewegung an ihm vorbeischlüpfte und, noch ehe er seine Kampfstellung auf der anderen Seite wieder einnahm, mit aller Kraft zuschlug. Der Hieb war nicht sonderlich genau, konnte es auch nicht sein, denn er war aus der Bewegung heraus geschlagen, aber er fand sein Ziel. Er traf wuchtig oberhalb des linken Handgelenks auf, und die Klinge schnitt tief ein.
Jawy schrie auf und ließ das Rapier fallen.
Jetzt galt es, den Vorteil auszunutzen. Jetzt ging es Degen gegen Degen. Er konnte wieder alles das, was Arturo, der florentinische Fechtmeister, ihm so trefflich beigebracht hatte, anwenden. Er täuschte eine Ballestra vor und zog sich blitzschnell wieder zurück. Dies tat er mehrere Male, wobei er nach jedem Vorstoß weiter zurückwich. So gelang es ihm, Jawy zur Mitte des Raums zu locken; hier war mehr Platz, und er konnte seine Behändigkeit besser ausspielen. Er gab sich eine Blöße und bot die Quart an, was den Piraten prompt dazu veranlasste, einen gewaltigen Stoß auf seine rechte Brustseite auszuführen. Der Stoß ging ins Leere. Jawy schnaufte. Dann versuchte er es mit einem uralten Trick. Er rief: »Sieh nur, Bürschchen, Sanceur stirbt!«
Vitus lachte. Er war kein Anfänger, der auf solche Kinkerlitzchen hereinfiel. Sein Blick lag unverwandt auf Jawy, in dessen Augen die ersten Zweifel auftauchten. »Sanceur stirbt nicht, aber du!« Er machte einen Sturzangriff, preschte überfallartig vor, stieß den Degen nach vorn und zog sich ebenso schnell wieder zurück, um dem Gegenangriff auszuweichen. Doch der Gegenangriff blieb aus. Er hatte es nicht gesehen, aber nun, an Jawys gekrümmter Haltung, wurde klar: Er hatte getroffen. Die Spitze seines Degens hatte dem Piraten die unteren Rippen aufgeschlitzt! Ein roter, rasch größer werdender Fleck bildete sich auf seinem Wams.
Wieder stürmte Vitus vor, schlug Jawys zur Parade hochgerissene Waffe beiseite und setzte einen neuen Treffer. Der Pirat schrie auf und wich zurück. Beide Kontrahenten standen sich, nach Luft ringend, gegenüber. In Jawys Augen flackerte es. Dann ging ein schiefes Grinsen über seine Züge. Sein Unterkiefer malte. »Glaub nicht, dass du mich hast, Bürschchen!« Er sprang auf Sanceur zu, umfasste den Sklavenhändler und hielt ihn wie einen Schutzschild vor sich, während er sich rasch zum Ausgang bewegte. Dort angelangt, versetzte er Sanceur einen Hieb mit dem Griff seinen Degens und schlüpfte durch die Tür. »Wir sehen uns wieder,
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