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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Vielleicht hat der alte Bärbeiß die
Torment
überrascht, als sie den Sklavenfahrer aufbrachte? Vielleicht hat er sie sogar bekämpft? Nun, das sind reine Vermutungen. Fest steht: Mit der
Torment of Hell
durfte Jawy sich nicht in den Hafen trauen. Mit dem Guineaman hingegen war es kein Problem. Er konnte unauffällig einlaufen und ziemlich sicher sein, die ›Ware‹ gefahrlos verkaufen zu können.«
    »Was ihm bis jetzt aber nicht gelungen ist«, ergänzte der kleine Gelehrte grimmig. »Noch nicht.«
    Schon wieder meldete sich Hewitt: »Magister, ich glaube nicht, dass er noch einmal versucht, mit Sanceur oder einem anderen Sklavenhändler ins Geschäft zu kommen. Vitus erzählte, die beiden hätten eine schwere Auseinandersetzung gehabt. Jawy muss annehmen, dass Sanceur ihn verpfeift, falls er es wagt, noch einmal an Land zu gehen. Erst recht, wenn er schwarze ›Ware‹ mit sich führt. Für spanische Wachsoldaten sind Piraten, die sich in Habana herumtreiben, ein gefundenes Fressen.«
    »Na dann: gute Nacht.« Der Magister nahm den letzten Schluck und schielte nach der Brandyflasche. »Jawy ist über alle Berge, da beißt die Maus keinen Faden ab. Er wird auch nicht wiederkommen, wie wir gerade gehört haben. Vielleicht segelt er mit den Sklaven jetzt nach Hispañola oder weiß der Teufel wohin, ebenso wäre möglich, dass er Kurs auf seine
Torment of Hell
nimmt, sofern sie noch existiert, und die Schwarzen unterwegs einfach über Bord kippt. Aber auch die zweite Vermutung wird uns nichts nützen, denn wir haben keinen Schimmer, wo sich der Segler aufhält.«
    »Vielleicht doch.« Es war das dritte Mal, dass Hewitt die Stimme erhob. »Ich weiß, dass es eine Bucht gibt, in der Jawy und seine Spießgesellen sich gerne aufhalten. Die Bucht selbst ist den Spaniern wohl bekannt, aber sie hat mehrere geheime Seitenarme, die von See her uneinsehbar sind. Ein idealer Platz, um sich zu verstecken.«
    »Und das sagst du erst jetzt?« Vitus war aufgesprungen, setzte sich aber sofort wieder, denn die ungestüme Bewegung hatte den Schmerz in seiner Schulter neu entfacht. »Wie heißt diese Bucht?«
    »Bahía de Cabañas. Jawy hat sich dort schon ein paar Mal auf die Lauer gelegt, um Schatzgaleonen zu überfallen. Einmal hat er die
Torment
sogar am Strand reparieren lassen.«
    »Und wie weit ist die Bucht von Habana entfernt?«
    Der junge Matrose zögerte. »Das kann ich nur schätzen, Vitus.«
    »Dann schätze!«
    »Ich denke, an die dreißig Meilen. Immer nach Westen, an der Küste entlang.«
    »Dreißig Meilen?« In Vitus’ Gesicht arbeitete es. »In Ordnung. Wir marschieren noch heute Nacht. Mit ein wenig Glück sind wir morgen Nachmittag vor Ort.«
    Der Magister blickte skeptisch. »Nehmen wir an, die
Torment
wäre wirklich dort. Und dann?«
    »Sehen wir weiter.« Vitus erhob sich endgültig und wandte sich an O’Tuft: »Kapitän, ich danke Euch für Eure Gastfreundschaft, sie hat Euch alle Ehre gemacht, doch nun ist unseres Bleibens nicht länger. Ich wünsche Euch eine gute Reise, und grüßt mir besonders herzlich Häuptling Okumba!«
    O’Tuft grinste gutmütig und schob seine breite Brust vor die Kajütentür, so dass Vitus, der sich schon halb zum Gehen gewandt hatte, fast gegen ihn geprallt wäre. »Das will ich gerne tun, Cirurgicus, doch als Gott die Zeit gemacht hat, hat er genug davon gemacht, sagen wir Iren.«
    Vitus blickte ihn fragend an.
    »Ihr solltet Euch Zeit lassen und meine Gastfreundschaft noch ein Weilchen ertragen, oder wollt Ihr Euch auf dem langen Marsch von Luft und Liebe ernähren?«
    »Äh … natürlich nicht.«
    »Seht Ihr, geduldet Euch also noch so lange, bis der Koch Euch und Eure Männer mit Proviant versorgt hat.«
    So geschah es. Doch als der ungeduldige Vitus endlich aufbrechen wollte, wurde er abermals daran gehindert. Diesmal vom Magister: »Was ist mit Arlette?«, fragte der kleine Gelehrte. Er sprach absichtlich so leise, dass die anderen ihn nicht hören konnten. »Willst du die Suche nach ihr etwa aufgeben?«
    »Natürlich nicht. Aber glaubst du, dass sie jemals in Habana auftauchen wird?«, flüsterte Vitus zurück.
    Der kleine Mann zuckte mit den Schultern.
    »Dann los.«
    Neunzehn Stunden später trafen die Freunde an den Ufern der Bahía de Cabañas ein. Ein Marsch lag hinter ihnen, der jedem das Letzte an Kraft und Willensstärke abverlangt hatte.
    Sie waren, durch O’Tuft mit Nahrung, Waffen und Laternen wohl versorgt, am Meer entlang gegangen, und die ersten Meilen

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