Der Chirurg von Campodios
sich, jedem einen steifen Brandy einzuschenken. »Stärkt Euch erst einmal, Gentlemen«, sagte er mit seiner volltönenden Stimme. »Die Hauptsache ist doch, dass die Sklaven in Sicherheit sind. Meine Männer kümmern sich um sie.«
Das stimmte in der Tat, wobei besonders die Farbigen unter O’Tufts Besatzung eine nahezu rührende Sorgfalt an den Tag legten. Sofort nach ihrer Ankunft hatte man Kamba und seine Leidensgefährten unter Deck gebracht, wo ihnen ein Lager, ein stärkender Trunk und eine vorbereitete Mahlzeit gereicht worden waren.
»Ich würde gern noch vor Morgengrauen bei ablaufendem Wasser ankerauf gehen, Cirurgicus«, fuhr der Kapitän fort, »der Wind steht günstig, und je schneller wir nach Mittelamerika kommen, desto besser. Wenn erst einmal sämtliche Schatzgaleonen zur Bahía de Matanzas segeln, um sich dort zu sammeln, ist das Meer um Kuba herum wie ein Amazonasarm voller Piranhas. Überall Freibeuter, Mordgesellen und Bukanier, die den Dons ihr Gold abjagen wollen.«
»An mir soll’s nicht liegen, Herr Kapitän. Wenn der Magister mich jemals aus seinen Klauen entlassen sollte, gehen wir sofort von Bord. Doch sagt: Wird die Hafenbehörde nicht morgen früh misstrauisch werden, wenn Euer Schiff so plötzlich verschwunden ist?«
O’Tuft grinste. »Sie wird meine Abwesenheit bemerken, darauf könnt Ihr Gift nehmen, aber sie wird keinen Alarm schlagen. Ein wenig
soborno
für die entsprechenden Stellen«, er rieb Daumen und Zeigefinger aneinander, »und schon erblinden die Señores bei allem, was sich im Hafen tut, versteht Ihr?«
Vitus’ Nicken wurde von dem Magister, der den Verband noch nicht vollends angelegt hatte, sofort unterdrückt. »Nicht bewegen«, befahl der kleine Mann, »oder willst du, dass ich von vorn anfangen muss?«
Vitus schwieg.
»Sprechen darfst du.«
»Ja, schon gut. Ich ärgere mich nur, dass der Menschenschlächter Jawy mir durch die Lappen gegangen ist. Ich gäbe viel dafür, wenn ich wüsste, wie wir ihn noch schnappen könnten, aber er ist wohl uneinholbar fort.«
»Scheint so.« Der kleine Gelehrte gab Vitus frei. »Bitte sehr, Herr Cirurgicus, Eurer Befürchtung zum Trotz seid Ihr schon fertig!«
»Danke, Magister.«
O’Tuft erhob seinen Becher. »Trinken wir erst einmal, Gentlemen. Ein guter Tropfen hilft über manchen Kummer hinweg, sagen wir Iren.«
»Das weiß man nicht nur in Irland.« Der kleine Mann griff ebenfalls zum Trinkgefäß. »
Sláinte
, Herr Kapitän!«
»
Sláinte!
Nanu, Ihr sprecht Irisch, Herr Magister?«
»Mehr schlecht als recht und nur ein paar Brocken, aber das ist eine lange Geschichte.«
»Ich verstehe.« O’Tuft, der nicht neugierig war, nahm einen kräftigen Schluck. Die anderen taten es ihm gleich.
Nachdem sie die Becher abgesetzt hatten, meldete sich Hewitt überraschend zu Wort: »Vitus, du sagtest vorhin, Jawy hätte sich zu einem Sklavenfahrer rudern lassen, nicht wahr?«
»So ist es, und nur der Himmel weiß, was aus seiner
Torment of Hell
geworden ist.«
»Ja, hm.« Hewitt dachte schwer nach, wobei sein offenes Jungengesicht sich in tiefe Falten legte. »Vielleicht hat Jawy die
Torment of Hell
verloren, vielleicht auch nicht. Ich persönlich halte es für wahrscheinlicher, dass er sie noch besitzt und den Sklavenfahrer zusätzlich gekapert hat.«
»Nanu, wie kommst du denn darauf?«
»Also«, der Matrose blickte ein wenig verlegen, denn er spürte, dass alle Augen auf ihm ruhten, »wenn die
Torment
vernichtet worden wäre, hätte sich das bestimmt wie ein Lauffeuer in Habana herumgesprochen.«
»Da ist was dran«, erklärte der Magister.
»Ich glaube«, setzte Hewitt seine Überlegungen fort, »dass Jawy bislang noch keine Schatzgaleone plündern konnte. In seinen Frachträumen dürften sich weder Silber noch Gold befinden, zumal, wie Kapitän O’Tuft bereits sagte, die Schatzgaleonen sich erst noch in der Bahía de Matanzas sammeln müssen, bevor sie vereint über den Ozean segeln.«
Vitus beugte sich vor. »Was willst du damit sagen?«
»Jawy hat sich an dem Sklavenfahrer schadlos gehalten, der war für ihn besser als gar nichts. Er hat den Guineaman in seine Gewalt gebracht und ihn mit einigen seiner Leute nach Habana gesegelt.«
In Vitus’ Gesicht leuchtete Verstehen auf. »Klar! Und hier wollte er die Sklaven an Sanceur verkaufen. Jetzt fällt’s mir wieder ein: Als ich die beiden belauschte, erwähnte Jawy auch Taggart. Unseren alten Taggart! Und er sagte dabei irgendetwas von ›Störung‹.
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