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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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alles tun, um sie wiederzubekommen.«
    »Da also liegt der Hase im Pfeffer! Warum hast du das nicht gleich gesagt?« Der Magister lebte auf. Nichts war für ihn schlimmer als Tatenlosigkeit, und die Aussicht auf ein Abenteuer hob seine Laune ungemein. »Wir gehen selbstverständlich alle an Bord. Acht Augen sehen mehr als zwei.«
    »Nein, das werden wir nicht. Wenn überhaupt, dann gehen du und ich allein. Hewitt und Enano bleiben an Land. Sie halten die Augen offen, und wenn Gefahr droht, geben sie uns ein Zeichen.«
    Sie besprachen noch alle Einzelheiten, und spät in der Nacht begannen sie das Wagnis. Sie hatten beobachtet, dass eine große Zahl von Palmenstämmen in der Bucht schwamm, wohl ein Relikt des letzten Sturms, und diesen Umstand machten sie sich zunutze. Vitus und der Magister beschmutzten ihre ohnehin schmutzige Kleidung noch mehr, so dass sie nur noch erdfarbenen Stoff am Leibe trugen, und bestiegen einen der Stämme. Bäuchlings auf dem Holz liegend, verschmolzen ihre Körper mit dem schwimmenden Untersatz, während sie wie die Spießenten links und rechts mit den Armen zu paddeln begannen. Nach einiger Zeit wisperte Vitus, der vorn lag: »Noch zwei, drei Faden, und wir sind da. Ich kann die Ankertrosse schon sehen.«
    Der kleine Gelehrte antwortete kaum hörbar: »Sonst irgendein Zeichen von Leben?«
    »Nein. Lass uns jetzt vorsichtiger paddeln und nicht mehr so viel sprechen. Kann sein, dass sie Wachen aufgestellt haben.«
    Der Magister gehorchte. Seine Hände fuhren nur noch langsam durchs Wasser. Nahezu unhörbar glitten die Freunde auf den turmhoch vor ihnen aufragenden Schiffsrumpf zu. Die Wahrscheinlichkeit einer Entdeckung war gering, denn bis vor kurzem war an Bord noch kräftig gezecht worden. Offenbar hatten die Piraten das Ende der Reparaturen gefeiert. Ausgelassenes Gegröle und Gejohle hatte bis zum Land herübergeklungen, doch dann war, wie so oft bei ausschweifenden Gelagen, ganz plötzlich Grabesstille eingetreten. Nur eine vereinzelte Stimme hatte weiter ein zotiges Lied gesungen, um schließlich, wie alle anderen, zu verstummen.
    Unterdessen hatten die Freunde sich mit dem Stamm unter den Bug der großen Galeone geschoben. Über ihnen spannte sich armdick die Ankertrosse. Schiffsplanken ächzten, Holz rieb sich an Holz, die Takelage knarrte. Es war die Zeit zwischen Niedrigwasser und zurückkehrender Flut, wodurch in der Bucht kaum Strömung herrschte und die
Torment
nur leicht am Anker schwojte. Der Magister hob den Kopf. »Kannst du das Zeichen erkennen, Vitus?« Fast augenblicklich wurden seine Worte vom Wind fortgeweht.
    »Warte.« Vitus kniff die Augen zusammen und spähte zum Ufer, wo Hewitt und der Zwerg im Unterholz ausharrten. Sie hielten eine abgedeckte Laterne bereit, deren Licht sie einmal kurz aufblitzen lassen wollten, wenn die Luft an Deck rein war. Bei Gefahr sollte die Lampe dreimal aufleuchten. »Ja, da!« Für einen winzigen Zeitraum war in der Schwärze des Ufersaums ein Licht sichtbar geworden.
    »Dann wollen wir mal, was?«
    »Ja, und ab jetzt gilt absolutes Sprechverbot.« Vitus hangelte sich wie ein Klammeraffe an der Ankertrosse empor, den kleinen, zähen Freund immer unter sich. In Höhe der Ankerklüse machte er Halt, atmete ein paar Mal tief durch und zog sich dann Zoll für Zoll an der Außenwand des Galions hinauf, bis er endlich den Kopf über den Rand des hölzernen Vorbaus schieben konnte. Ein kurzer Rundumblick; alles schien in Ordnung. Doch plötzlich erstarrte er. Nur drei Armeslängen entfernt lehnte sich eine lachende Teufelsgestalt nach vorn. Das Gesicht war eine Fratze – mit Hörnern, Hakennase und ausgeprägtem Unterkiefer. Die Galionsfigur! Kein Zweifel, dies war Jawys Schiff.
    Vitus schwang sich über das Schanzkleid. Nur Augenblicke später folgte ihm der Magister. Der kleine Mann blinzelte, rückte sein Nasengestell wieder gerade und stieß einen überraschten Laut aus, als er Jawys Teufelsfigur gewahr wurde. Dann verzog er angeekelt die Nase. Denn hier im Bug befand sich, wie auf allen Galeonen, das so genannte »Gärtchen«, der Abort der Mannschaft. Ein Platz, der immer dann, wenn das Schiff nicht in Fahrt war, bestialischen Gestank verbreitete.
    Vitus winkte mit der Hand und zeigte auf die schwere Eichentür, die den Eingang zur Mannschaftsunterkunft bildete. Sie stand halb offen. Von drinnen tönte ihnen lautes Schnarchen entgegen. Wohl oder übel mussten die Freunde das Logis passieren, wollten sie nicht mühsam über die

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