Der Chirurg von Campodios
erste Wache?«
»Ich«, sagte Hewitt, der Zuverlässige.
Am Tag darauf erhoben sie sich, noch bevor der erste Sonnenstrahl über die Kimm kroch. Nur zögernd erstarben die Nachtgeräusche des Urwalds und wichen dem Kreischen der Vögel und dem Brüllen der Affen in den Bäumen. Die Freunde hatten geschlafen wie die Toten, auf blankem Boden, dessen Härte sie nur durch ein paar rasch zusammengepflückte Blätter gemildert hatten.
»Guten Morgen«, krächzte der Magister, der die letzte Wache gehabt hatte. »Die Piraten sind alle schon am Werk, fleißig wie die Bienen, im Gegensatz zu euch Langschläfern. Ich hoffe, die Herrschaften haben wenigstens wohl geruht?«
Als die Antwort ausblieb, schielte er in die Proviantbeutel, die O’Tuft ihnen mitgegeben hatte, und stellte zu seinem Bedauern fest, dass die Vorräte nahezu erschöpft waren. Nur ein wenig Hartbrot war noch da, sonst nichts. Die Tatsache, dass die Stücke madenfrei waren, vermochte ihn wenig zu trösten. »Es ist wie im Kerker, was, Vitus?
Aqua et panis est vita canis.
Der Hund lebt von Wasser und Brot, schmale Kost, mehr nicht. Nun ja, wir wollen nicht undankbar sein und dem Herrn auch dafür Dank sagen. Pater Ambrosius, dessen Seele sich der Allmächtige erbarmt haben möge, hätte an dieser Stelle eine ausgewachsene Predigt gehalten, ich jedoch fasse mich kurz:
Herr, wir danken Dir für dieses Brot,
das wahrlich kein Manna ist,
aber besser als nichts.
Wir danken Dir für das Wasser,
das Du für uns fließen lässt, auch wenn
Du es nicht zu Wein gemacht hast.
Wir danken Dir, dass wir festen Boden
unter den Füßen haben, denn das war,
wie Du weißt, nicht immer so.«
Er schlug das Kreuz. »Amen.«
»Amen«, kam das Echo von seinen nur mühsam wach werdenden Gefährten.
Vitus erhob sich als Erster und trat heran. »Viel ist es nicht, was man bei dir als Hund bekommt.« Krachend biss er in ein kleines Stück Brot und begann es durchzukauen.
»Wui, wui, haste nix, fasste nix, haste was, ist’s besser als nix!«
Dem Zwerg schien es wieder gut zu gehen. Auch Hewitt machte einen erholten Eindruck.
Wenig später hatten sie ihr karges Morgenmahl beendet und schlichen sich wieder zum Strand hinunter. Wie der Magister gesagt hatte, herrschte emsiges Treiben auf der
Torment
.
Vitus wandte sich an Hewitt. »Dass die Piraten ihr Schiff wieder seeklar machen wollen, liegt auf der Hand. Es fragt sich nur, wie schnell es ihnen gelingt. Wie lange, glaubst du, brauchen sie noch? Du verstehst von uns allen am meisten von Seemannschaft.«
Der junge Matrose winkte ab. »Alles halb so wild.« Doch man sah ihm an, wie sehr ihn das Lob freute. Er kniff die Augen zusammen und ließ sich mit der Antwort Zeit. »Wie ihr seht, schwimmt die
Torment
bereits wieder, was gleich zwei Schlüsse zulässt: Erstens müssen meine ehemaligen Kumpane die ganze Nacht durchgearbeitet haben, um die Einschusslöcher mit Zapfen abzudichten. Eine schwierige Arbeit, die geschickte Hände verlangt. Aber die
Torment
hat einen guten Zimmermann.«
»Aha«, machte der kleine Gelehrte. »Und zweitens?«
»Zweitens, Magister, haben wir zurzeit Hochwasser.«
»Das heißt, sie könnte gefahrlos davonsegeln?«, schaltete Vitus sich wieder ein.
»Ich denke schon. Allerdings sicher nicht mehr mit dieser Tide, denn drüben wird noch immer der neue Besan aufgeriggt. Scheint so, als nähmen sie dafür die Ersatzgroßmaststenge. Eine langwierige Arbeit, zu der viel Erfahrung gehört. Wir haben’s ja selbst gemerkt, als wir den Mast für die
Albatross
stellten.«
»In der Tat, in der Tat.« Der Magister strengte sich mächtig an, um die Geschehnisse durch seine Berylle zu verfolgen, erkannte aber trotzdem nur verschwommene Punkte. »Warum segelt die
Torment
nicht einfach so fort? Drei Masten sind doch auch genug, oder nicht?«
Hewitt lachte. »Drei Masten mögen zum Fortkommen ausreichen, aber vier Masten bringen mehr Geschwindigkeit, und die ist für Piraten oft lebenswichtig. Ich bin sicher, sie werden versuchen, den Besan zu richten, bevor sie ankerauf gehen. Davon abgesehen, warten sie vielleicht auch auf Jawy.«
»Stimmt.« Vitus hatte nachgedacht und war zu einem Entschluss gekommen. »Wir können im Augenblick nichts weiter tun, als sie zu beobachten. Dazu wird einer von uns genügen. Er soll diesen Posten ständig besetzt halten und alle Veränderungen sofort melden. Die anderen gehen zurück zum Lagerplatz und legen sich aufs Ohr. Wir haben noch eine Menge Schlaf
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