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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Angenommen, Ihr hättet morgen und übermorgen wieder Patienten für die
Spongia somnifera
, taucht Ihr den Schwamm dann jedes Mal aufs Neue in die Flüssigkeit, oder wie macht Ihr das?«
    »Die Flüssigkeit, Sir, ist hochtoxisch. Jedes der Ingredienzen hat eine starke schmerzstillende oder berauschende Wirkung. Es ist deshalb angezeigt, nur eine einzige Dosis herzustellen und sie vom Schwamm zur Gänze aufnehmen zu lassen. Ist das geschehen, legt man ihn in die Sonne, so lange, bis er vollkommen durchgetrocknet ist. Wenn er später gebraucht wird, wässert man ihn einfach, und der Effekt ist derselbe. Allerdings nur für wenige Male.«
    »Schön, schön. Ihr habt nun Euren Patienten operiert, und er befindet sich noch im Dämmerschlaf. Wie weckt Ihr ihn wieder auf? Mit dem Holzhammer?«
    Der Prüfling gestattete sich ein Lächeln. »Sicher nicht, Sir. Ich verabreiche dazu den Saft der Fenchelwurzel.«
    Woodhall nickte gnädig und winkte den Prüfling zur anderen Seite der Bank. Auf eine Dose deutend, fragte er: »Wie heißen diese blauschwarzen Beeren?«
    Vitus roch an den erbsengroßen Kügelchen, besah sie sich von allen Seiten, wog sie in der Hand und sagte endlich: »Ich vermute, es sind die Beeren des Kreuzdorns, Sir.«
    »Soso. Ihr vermutet. Vermutungen reichen aber nicht, Herr Prüfling.« Woodhall hätte es im Leben nicht zugegeben, aber diese erste deutliche Unsicherheit des Examinanden tat ihm gut. Einen, der alles wusste, gab es nicht. Durfte es nicht geben. Und er, Woodhall, wollte schon dafür sorgen, dass die Schwächen des Mannes aufgedeckt wurden. »Ihr wisst es also nicht, nun …«
    »Verzeihung, Sir, es gibt viele Sträucher, die dunkle Beeren in dieser Größe hervorbringen. Wenn es erlaubt ist, würde ich Euch fragen, ob der Strauch dieser Beere kleine ovale Blätter hat und weiße Blüten bildet.«
    »Nun, äh … so ist es.«
    »Dann, Sir, ist es Kreuzdorn.«
    Woodhall fühlte fast so etwas wie Enttäuschung. »Und wozu dienen die Beeren?«
    »Aus ihrem Pulver lässt sich ein starkes Abführmittel gewinnen, Sir. Wenn jemand nach einem reichhaltigen Mahl über Völlegefühl oder Blähungen klagt, dann …«
    »Nun, hahaha, das mögen andere tun, wir aber nicht, was, Woodhall?«, schob sich Banester unerwartet dazwischen. Er glaubte, das passende Stichwort für eine Unterbrechung gefunden zu haben. »Bis jetzt sind wir noch immer so zu Stuhle gekommen, jedenfalls bis vorhin, was, Woodhall? Hahaha!« Er legte dem langen Mann die Hand auf die Schulter und wandte sich gleichzeitig an Clowes. »Nicht wahr, Clowes?«
    Doch Clowes antwortete nicht. Er war, in Ermangelung eines Verdauungsschläfchens, im Stehen eingenickt.
    »Auch gut. Ich denke, Woodhall, das war’s. Ihr habt den Mann nach allen Regeln der Kunst examiniert, und ich muss sagen, dass ich selten so gern einer Befragung gefolgt bin. Nein …«, er wehrte Woodhalls Protest ab, »wirklich, alter Junge, ausgezeichnet, ganz ausgezeichnet!«
    Ehe Woodhall doch noch Widerworte fand, rief Banester lautstark: »Harvey! Harvey! Zum Donnerwetter, Harvey, wo steckst du Herumtreiber?«
    Statt einer Antwort öffnete sich die große Flügeltür des Saals, und drei Gestalten wurden von kräftigen Händen hereingestoßen. Es waren Männer von der Straße, in Lumpen gekleidet, unrasiert, ungewaschen und unangenehm riechend – mit rot entzündeten Augen, in denen der Suff stand.
    Einer dieser Männer war Pigger.
    »Oh, Sir, oh, Sir!« Mit weit ausgebreiteten Armen kam Harvey hinterhergeeilt. »Glaubt mir, ich habe die Burschen so schnell es ging besorgt.« Er legte die Handflächen wie zum Gebet zusammen und beugte das Haupt. »Vergebt mir, wenn es zu lange dauerte.«
    »Lass die Faxen!«, befahl Banester barsch, doch insgeheim gratulierte er sich, dass der Diener so schnell mit dem Gesindel erschienen war. Woodhall mit seinem Kräuterkram war damit endgültig abgemeldet. Jetzt konnte zum praktischen Teil der Prüfung übergegangen werden. »Die Kerle sollen sich in der Mitte des Raums aufstellen, damit wir sie besser sehen können.«
    »Jawohl, Sir!« Harvey stieß die Männer ins Licht. Jeder von ihnen hatte mehr oder weniger starke Verletzungen am Körper. Es sah ganz so aus, als hätten sie an einer heftigen Prügelei teilgenommen.
    »Fer aut feri, ne feriaris feri«
, stellte Banester trocken fest, nachdem er die drei Gestalten eingehend gemustert hatte. »Ertrage oder schlage, willst du nicht geschlagen sein, so schlage! Das, ihr Halunken, ist

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