Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
Vom Netzwerk:
scharf die Luft durch seine Zähne zog. Dann nahm er sich den Dreiecks- und den Flügelknorpel vor. Als auch diese wieder richtig platziert waren, stellte er zu seiner Zufriedenheit fest, dass sich das Septum automatisch seinen alten Platz gesucht hatte: Die Scheidewand saß jetzt wieder gerade zwischen den beiden Nasenlöchern.
    Der Bursche, dem das Riechorgan gehörte, schien aus hartem Holz geschnitzt zu sein, denn kein Laut war während der ganzen Zeit über seine Lippen gekommen, obwohl seine Augen vor Schmerzen tränten.
    Die Nase hatte, wenn auch immer noch stark geschwollen, auf ganzer Länge ihren alten Sitz zurückgewonnen. Vitus nahm zwei schmale, ungefähr drei Zoll lange Holzröhrchen zur Hand.
    »Diese Röhrchen, Gentlemen, werden in die Nasenlöcher geschoben, ihre Funktion ist zweifach: Sie helfen, die Nase gerade zu halten, und ermöglichen gleichzeitig ein freies Atmen.«
    Er tat wie angekündigt, und auch diese Prozedur ließ der Mann klaglos über sich ergehen. »Die Röhrchen müssen so weit wie möglich hochgeschoben werden, am besten bis zum Nasendach, damit sie fest sitzen. Wenn die Schwellung zurückgeht, lockern sie sich möglicherweise, in diesem Fall sind sie durch andere, dickere zu ersetzen. Das Nasenbein braucht zwei bis drei Wochen, um wieder zusammenzuwachsen.« Er wandte sich direkt an den Burschen. »Wenn ich du wäre, würde ich mir mit der nächsten Prügelei allerdings etwas länger Zeit lassen.«
    »Seid Ihr sicher, Herr Prüfling, dass der Mann eine gebrochene Nase hat?«, äußerte sich Woodhall skeptisch. »Ich habe ihn nicht daraus bluten sehen.«
    »Eine Nase kann durchaus auch dann gebrochen sein, Sir, wenn sie nicht blutet. Ich will aber gerne einräumen, dass die meisten Rhinofrakturen zu Blutungen führen. Mit Eurer Erlaubnis, Gentlemen, nehme ich mir jetzt den letzten Patienten vor.«
    Banester schnaufte: »Nur zu, nur zu!«
    Vitus besah sich den herabhängenden rechten Arm und kam wenig später zu dem Schluss, dass die Schulter ausgekugelt war. Er stellte sich seitlich vor den Mann und befahl ihm, den Arm so gerade und steif wie möglich zu machen und gleichzeitig sicheren Stand zu suchen. Dann packte er mit der linken Hand die Schulter und mit der rechten den Unterarm.
    »Ganz gerade und steif machen«, befahl er nochmals, und dann, mit einer ruckartigen Bewegung, riss er den Arm nach oben. Es gab einen dumpfen Laut, als die Gelenkkugel wieder in die Pfanne rutschte. Der Mann schrie auf.
    »Ich glaube, es ist geschafft.« Vitus tastete das Kugelgelenk ab. »Alles ist da, wo es sein soll. Bewege mal den Arm, Bursche! Gut, die Funktion ist wiederhergestellt. Erledigt.«
    »Ihr sagt es, Vitus von Campodios.« Banester lächelte freundlich, fast kollegial. »Ihr wisst es nicht, deshalb sage ich es Euch: Die Behandlung so genannter, äh … Straßenfälle bildet stets den Abschluss unserer Prüfung. Wenn Ihr also eben ›erledigt‹ gesagt habt, hattet Ihr damit im doppelten Sinne Recht.«
    »So ist es, mein Junge.« Clowes pflichtete dem Hausherrn bei und ergriff Vitus’ Rechte. »Ich will Euch zunächst nur dazu gratulieren, dass Ihr das Examen hinter Euch habt.« Seine Stimme klang warm. »Ob und wie Ihr bestanden habt, unterliegt natürlich dem Ratschluss des
Collegium medicum

    »So ist es.« Woodhall rang sich ein Lächeln ab und gab Vitus ebenfalls die Hand.
    »Gentlemen, ich … ich danke Euch! Würdet Ihr mir glauben, wenn ich sage, dass ich ziemlich froh bin, es hinter mir zu haben?«
    Banester lachte dröhnend und schlug dem Prüfling auf die Schulter. »Hoho, mein Bester, darauf wären wir nie gekommen. Was, Clowes, was, Woodhall?«
    Die beiden bestätigten das. Gute Laune machte sich breit.
    »Harvey, du Gestenreicher, führe die drei Halunken hinaus. Das Tagewerk ist vollbracht!« Banester zerrte abschließend sein Schnupftuch hervor und blies lautstark hinein. »Scheint so, als würde sogar mein Katarrh nachlassen! Darauf steht ein großer Schluck!« Er wollte nach der Dienerschaft läuten, doch in diesem Augenblick erschien abermals der Küchengehilfe, eine Verbeugung andeutend. »Ich soll den Gentlemen von der Köchin melden, dass eine kleine Stärkung bereitsteht.« Wie am Morgen wollte er sich schleunigst verdrücken, doch Banesters Ruf hielt ihn auf:
    »Richte Mrs Snapper aus, ich wüsste ihre Fürsorge zu schätzen!«
    »Jawohl, Sir. Werd’s weitersagen.«
    »Tja, dann wollen wir mal.« Die Aussicht auf kommende Tafelfreuden ließ die Augen des

Weitere Kostenlose Bücher