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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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sich noch Komplikationen einstellen sollten, vergesst nicht: Ihr habt Euer Bestes getan, und das ganze Leben liegt noch vor Euch.«
    »Danke, Sir.«
    Hall wechselte das Thema: »Wo wir gerade von dem vor Euch liegenden Leben sprechen: Was lässt Euch eigentlich hoffen, Lady Arlette in England zu finden, wenn die Frage gestattet ist?«
    »Nun«, Vitus suchte nach den richtigen Worten, »ich fürchte, ich habe keine andere Möglichkeit, da sie in Habana offenbar nicht ist. Auch auf Roanoke dürfte sie nicht sein, nachdem die Indianer das Eiland zurückerobert haben. Natürlich könnte ich darüber hinaus in der gesamten Karibik nach ihr forschen, aber wo? Nein, da kann ich genauso gut nach England zurückfahren.«
    »Ich sage es ungern, Cirurgicus, aber ich denke, dort werdet Ihr kein Glück haben. Natürlich kann ich mich irren, aber wenn Lady Arlette eine Passage nach England genommen hätte, wäre Kapitän Taggart und uns das nicht verborgen geblieben. Ihr müsst wissen, dass wir alle paar Wochen Kontakte mit englischen Kauffahrern haben, und keiner von ihnen hat auch nur im Entferntesten etwas Derartiges erwähnt, geschweige denn die Lady an Bord gehabt.«
    Vitus nickte schwer. »Wisst Ihr, dass Ihr schon der Zweite seid, der nicht an Arlettes Rückkehr nach England glaubt? Der Magister García äußerte sich ganz ähnlich.«
    »Nehmt es nicht so schwer, mein Junge, vielleicht irren wir uns ja auch. Man soll die Hoffnung nie aufgeben. Und außerdem, wie ich bereits sagte, liegt das ganze Leben noch vor Euch.« Hall legte tröstend seine Hand auf Vitus’ Schulter.
    »Jawohl, Sir.«
    »Kommt, gehen wir schlafen. Morgen sieht alles vielleicht schon anders aus.«
     
    Die Kajüte von Kapitän Taggart entsprach in vielem seiner geradlinigen Persönlichkeit. Sie war einfach und schnörkellos eingerichtet, ohne Effekthascherei, mit wenigen, aber kostbaren Möbeln. Neben dem Globus und dem großen Kartentisch aus Mahagoni, an dem alle für das Schicksal der
Falcon
wichtigen Entscheidungen gefällt wurden, stand ein weiterer, seefest verschraubter Tisch, der dem Kommandanten zur Einnahme der Mahlzeiten diente. An Steuerbord über der Koje befand sich eine Vitrine, ebenfalls aus Tropenholz, deren unschätzbarer Vorteil die sturmsichere Aufhängung für kostbare venezianische Kristallgläser war. Dazu kamen vier schwere spanische Schatztruhen, denen man schon von außen ihren kostbaren Inhalt ansah. Sie hatten unter den Heckfenstern Platz gefunden, dicht neben der Waschgelegenheit und dem Paravent, hinter dem der Stuhl zur Darmentleerung verborgen war.
    Der insgesamt recht großzügige Eindruck wurde nur unterbrochen durch das massive Rund des Besanmasts, das mittig durch die Kajüte stieß. Im Gegensatz zu manchem spanischen Kapitän, der seinen Besan mit Gottesbildnissen geradezu pflasterte, hatte Taggart es bei einer einzelnen Christusfigur belassen. Dafür stand am Fuße des Masts das womöglich kostbarste Beutestück: ein Chrismatorium. Dieser aus feinstem, ziseliertem Silber gefertigte Behälter besaß einen gewölbten Deckel, unter dem das Chrisam, ein Salböl, bestehend aus Olivenöl und Balsam, verwahrt wurde.
    Als sichtbarer Ausdruck einer anderen Glaubensrichtung hatte dieses Stück eigentlich nichts in der Kajüte eines Anglikaners zu suchen, doch Taggart pfiff darauf, denn nicht wenige der
Falcons
bekannten sich zum katholischen Glauben, und bei ebendiesen, sofern sie krank wurden oder dem Tode nahe waren, ließ er es sich nicht nehmen, sie zu salben, damit sie, ihrem Bekenntnis gemäß, der göttlichen Gnade teilhaftig werden konnten. Er wusste nicht, ob er den Segen des Erzbischofs von Canterbury dazu hatte, und auch in den
Articuli fidei
, den 39 Glaubensartikeln der Anglikanischen Kirche, kannte er sich nicht sonderlich gut aus, aber danach fragte er nicht. Auf See galten eigene Gesetze. Was zählte, war, dass die Männer ihr Los gelassener ertrugen. Und wenn er von den Männern sprach, dann meinte er alle: vom einfachen Matrosen bis hin zum studierten Schiffsarzt.
    Deshalb hatte er Vitus an diesem Vormittag zu sich in die Kajüte gebeten und stand nun mit ihm vor dem drehbaren Globus. »Habana, Cirurgicus«, sagte er ernst, während sein knorriger Finger auf Kuba wies, »Ihr werdet dorthin zurückkehren.«
    Vitus, der sich die ganze Zeit gefragt hatte, was der Kommandant wohl von ihm wollte, verstand nicht. »Äh … wie meint Ihr, Sir?«
    »Ich meine, dass Eure Aussichten, Lady Arlette in England

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