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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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ärztliche Kunst, die sich mit dem menschlichen Leib beschäftigte, war für ihn ein Buch mit sieben Siegeln. Trotzdem: Sachkundige Hilfe musste her, und zwar so schnell wie möglich! Er kam zu einem Entschluss:
    »Ich reite ins Dorf zu Doktor Burns!« Burns war zwar ein hochbetagter Mann, von dem es hieß, er habe mehr alchemistische als heilende Fähigkeiten, doch war er immerhin Arzt. Der Versuch, ihn zu holen, musste unternommen werden. »Und wenn ich schon auf dem Weg bin, reite ich gleich weiter nach London, um den jungen Herrn und seine Freunde zu benachrichtigen!«
    »Allmächtiger, das sind ja fünfzig Meilen!«
    »Und wenn schon. Ich schaffe es bestimmt. Wenn ich die Nacht durchreite, kann ich morgen Vormittag in London sein. Ich werde die drei schon auftreiben. Warte du hier auf Doktor Burns. Und lass Mister Catfield ausrichten, dass ich fort bin.« Ohne weiter Zeit zu verlieren, drehte Keith sich um und schoss davon.
    »Ja, gut, Junge.« Verzweiflung übermannte Hartford und ließ ihn nicht wahrnehmen, dass er schon wieder geduzt worden war.
    Mein lieber Vitus,
    wenn du diesen Brief liest, wird die Krankheit meinen Körper endgültig zerstört haben, nicht aber, so es des Allmächtigen Wille ist, meine unsterbliche Seele.
    Ich bin glücklich, dir im Vollbesitz meines Verstandes diese letzten Zeilen schreiben zu können, oder, um genau zu sein, schreiben zu lassen. Der Advocatus Hornstaple hatte die Freundlichkeit, mir seine Hand für diesen Zweck zu leihen. Er ist es auch, bei dem ich mein Testament hinterlegt habe. Lass es dir von ihm persönlich überreichen.
    Mein letzter Wille ist einfach. Ich möchte, dass du mit Arlette glücklich wirst. Im Falle, dass sie trotz meiner zahllosen Gebete tot sein sollte, wirst du alles erben. Lebt sie aber, was der Allmächtige geben möge, ist es mein Wunsch, dass du und Arlette zu gleichen Teilen erbt. Du, Vitus, sollst mein Schloss, das Gut und alle Ländereien haben, Arlette als meine Enkelin eine entsprechende Summe. Sie ist bei einem Londoner Bankhaus hinterlegt. Die näheren Einzelheiten findest du im Testament.
    Ich habe nicht mehr viel Zeit, mein Vitus, gehe deinen Weg, und mache unserem Namen Ehre, denn mein Herz weiß, dass du ein echter Collincourt bist.
    Lebe wohl, und finde sie …
     
    Dein dich liebender Großonkel
    Odo Collincourt
    Greenvale Castle, 3. August, Anno Domini 1577.
    Die Buchstaben der Unterschrift waren kaum zu entziffern, und das nicht nur wegen des flackernden Lichts, das drei Wachskerzen in einem Silberleuchter spendeten. Es ging auf Mitternacht zu. Mit Tränen in den Augen legte Vitus den Brief, den er wieder und wieder gelesen hatte, zurück auf die Truhe neben dem Totenbett. Er war froh, in diesem Augenblick allein mit dem Verstorbenen zu sein. Nicht wegen der Tränen, denn ihrer schämte er sich nicht, sondern weil er Zwiesprache halten wollte mit einem Mann, den er nur ein kurzes Jahr gekannt hatte und der ihm dennoch so nahe gekommen war wie kaum ein Mensch zuvor.
    Behutsam nahm er die Hände des Toten und legte sie gekreuzt auf seine Brust. »Es wird alles so geschehen, wie du es wünschst«, flüsterte er. »Das Erbe ist mir nicht wichtig, das weißt du, wichtig ist, dass alles auf Greenvale Castle in deinem Sinne weiterläuft. Und das wird es. Dafür werde ich mit Gottes Hilfe sorgen.
    Ich verspreche dir, dass ich alles Erdenkliche tun werde, um Arlette wiederzufinden – um deinet- und um meinetwillen. Ich verspreche dir, dass ich mich so rasch wie möglich auf den Weg machen werde. Ich verspreche dir, dass ich auf mich aufpassen werde. Du weißt, ich habe gute Freunde, die mir helfen werden. Wertvolle Freunde. Denn je mehr Menschen man verliert, desto wichtiger werden diejenigen, die einem bleiben.«
    Er küsste den Toten auf beide Wangen, faltete die Hände und sprach ein Gebet. Als er geendet hatte, fühlte er sich seltsam gestärkt. Er schlug das Kreuz. Dann nahm er den Silberleuchter, verließ den Raum und schritt die Marmortreppe hinab zum großen Esssaal, wo er schon erwartet wurde.
    Er trat ein und stellte den Leuchter auf die zweitürige Kredenz, in der das schwere Tafelsilber verwahrt wurde. Im fahlen Licht der Kerzen wirkte der große Raum unheimlich und unwirklich, was durch die schweren Ritterrüstungen in den Ecken, die dann und wann durch das Flackern der Kerzen aufblinkten, noch verstärkt wurde.
    Vitus setzte sich wortlos an den Platz, der ihm von nun an zustand: den Platz an der Stirnseite der großen

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