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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Tafel. Langsam ließ er seinen Blick schweifen. Sie waren alle versammelt: Doktor Burns, der nur noch den Tod des alten Lords hatte feststellen können, der Advocatus Hornstaple aus Worthing, ein Studierter der Jurisprudenz mit gleichermaßen würdevollem wie wichtigtuerischem Gehabe, Catfield, sein Gutsverwalter, der ihm besonders ergeben war, Hartford, kummervoll dreinblickend, ebenso wie die dicke Mrs Melrose, Köchin auf Greenvale Castle seit Jahrzehnten und ebenso lange unbeliebt bei jedermann. Dann seine Freunde: der Magister, der betreten vor sich hin blinzelte, und Enano der Zwerg, dem es tatsächlich die Sprache verschlagen hatte.
    »Ich danke allen, dass sie gekommen sind.« Abermals blickte Vitus in die Runde. Keiner entgegnete etwas. Es war so still, dass er sein eigenes Blut in den Ohren rauschen hörte. »Das Herz war es«, sagte er dann, »es hatte einfach nicht mehr die Kraft, der Krankheit zu trotzen.«
    Ein Seufzen ging durch die Anwesenden.
    »Ich nehme an, verehrter Doktor Burns, Ihr seid zu demselben Ergebnis gekommen?«
    Burns nickte unsicher. Er war ein alter Mann, und der vergangene Tag mit all seiner Hektik hatte ihn mehr als mitgenommen. Nur eine Viertelstunde nach Keiths Hilferuf war er auf dem Schloss eingetroffen, aber da war es schon zu spät gewesen. Der Lord hatte entseelt dagelegen, mit halb geöffnetem Mund und blassen Lippen. Alle Anzeichen hatten darauf hingedeutet, dass die Atmung ausgeblieben war, aber warum und wodurch, darauf hatte Burns sich keinen Reim machen können, zumal er eine unüberwindliche Scheu davor verspürte, den Leib eines Toten, der dem Hochadel angehörte, nackt zu untersuchen. So hatte er sich darauf beschränkt, den Tod festzustellen und dem Verstorbenen die Augen zu schließen.
    Zwei Stunden später, Burns verweilte noch immer neben dem Toten, war der junge Herr mit seinen Freunden ins Sterbezimmer gestürmt, atemlos und über die Maßen erregt, denn Keith hatte ihnen den kritischen Zustand des Lords getreulich übermittelt – kaum zwanzig Meilen von Greenvale Castle entfernt, wo er auf sie gestoßen war.
    Burns hatte den Ankömmlingen nur noch sein Beileid aussprechen können. Er wünschte von Herzen, er hätte mehr zu tun vermocht … »Sicher, junger Herr, sicher war es das Herz.«
    Vitus fuhr fort: »Ich möchte nicht weiter über den Befund sprechen, denn es wäre nicht im Sinne meines Onkels gewesen. Wer ihn kannte, weiß, dass es nicht seine Art war, über Krankheiten zu reden – geschweige denn, darüber zu klagen. Umso mehr lag ihm immer das Wohl von Greenvale Castle und aller seiner Menschen am Herzen. Ich wünsche deshalb, dass auf dem Schloss und auf dem Gut alles so weiterläuft wie bisher.«
    Er wandte sich an Hornstaple: »Ich habe Euch hergebeten, Herr Advocatus, weil ich einige Auskünfte von Euch erbitte und weil ich mich bedanken möchte für die Freundlichkeit, meinem Onkel Eure Hand zur Verfügung gestellt zu haben. Ihr habt für ihn seinen Abschiedsbrief an mich geschrieben. Nicht zuletzt deshalb ist Euch natürlich bekannt, dass ich seine Besitztümer erben soll. Bitte sagt mir, ob in seinem Testament, abgesehen von Einzelheiten, etwas anderes steht.«
    Hornstaples Lippen, die zunächst noch ein selbstzufriedenes Lächeln umspielt hatte, verschlossen sich zu einem Strich. »Mit Verlaub, Sir, so einfach ist das nicht. Ich kann diesbezüglich keine Auskünfte erteilen. Streng genommen darf ich Euch an dieser Stelle nicht einmal mitteilen, ob Ihr für das Erbe vorgesehen seid oder nicht. Dazu bedarf es der Testamentseröffnung – eines Vorgangs mit streng vorgeschriebenen Abläufen, etwa die Anwesenheitsfeststellung der Personen, Überprüfung der Identität derselben, Feststellung der Zahl der anwesenden Personen, Festhalten des Ortes, des Datums et cetera, et cetera. Als Advocatus bin ich verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass alles das peinlich genau eingehalten wird. Darüber hinaus sollten ausschließlich die erbberechtigten Personen respektive Parteien …«
    »Verzeiht, dass ich Euch unterbreche. Wenn der Inhalt des Abschiedsbriefs mit dem Testament übereinstimmt, wovon ich überzeugt bin, gibt es nur zwei Erben – Lady Arlette und mich. Da Lady Arlette aber nicht anwesend ist, vielmehr nicht einmal bekannt ist, ob sie noch lebt, bin ich der Einzige, den das Testament etwas angeht. Oder haben außer uns noch andere geerbt?«
    »Nein, Sir, das nicht, aber …« Hornstaple stockte und lief vor Ärger rot an. Ohne es

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