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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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an, dass er den Ring auf Eure Fingerstärke weiten ließ, bevor er ihn mir übergab.«
    »Soso. Aha.« Vitus blickte fasziniert auf das Wappen des Rings. Es war kreisförmig und wies im oberen Bereich einen sich schlangengleich windenden, fauchenden Löwen auf, darunter war ein stilisiertes Schiff zu erkennen, dessen zwei dreieckige Segel einander spiegelverkehrt gegenüberstanden. Es war jenes unverkennbare Wappen, das ihm den Weg von Spanien nach England gewiesen hatte. Das war jetzt bald zwei Jahre her …
    Er zwang seine Gedanken zurück an den Tisch. »Hartford, nun zu dir. Deine Aufgabe bestand bisher in der persönlichen Betreuung Seiner Lordschaft. Da diese Arbeit nun entfällt und ich keinen persönlichen Diener brauche, wirst du ab morgen Mister Catfield als Assistent bei der Verwaltung zur Verfügung stehen. Du wirst dich in deine neuen Aufgaben so schnell wie möglich einarbeiten und sie genauso gut bewältigen wie die bisherigen.«
    »Aber Sir! Ich … äh, nein, aber … Jawohl, Sir.«
    »Freut mich, dass du einverstanden bist. Die restliche Dienerschaft wird wie bisher eingesetzt. Nun zu Keith, dem Stallburschen, der so beherzt gehandelt hat. Ich möchte, dass er … Wo ist er überhaupt?« Vitus blickte sich suchend um.
    »Nun, Sir, niemand hat ihn in diese Runde gebeten, deshalb dürfte er jetzt schon tief und selig schlafen«, schmunzelte Catfield.
    »Natürlich. Hartford, lauf hinüber zu den Stallungen und hole den Jungen, aber rasch!«
    »Äh … jawohl, Sir.« Hartford zog eine Grimasse, als hätte er rohen Fisch verschluckt, doch er fügte sich in das Unvermeidliche.
    »Da bin ich, Sir!«, rief Keith kurze Zeit später. Er stand in der großen Flügeltür und trat von einem Bein aufs andere.
    »Komm her, Keith, setz dich neben Mister Catfield. Ich habe dir etwas mitzuteilen.«
    »Sir?« Die Ohren von Keith, der alle Blicke auf sich spürte, nahmen die Farbe von Klatschmohn an.
    »Zunächst einmal möchte ich dir dafür danken, dass du so umsichtig gehandelt hast.«
    »Ich hab getan, was getan werden musste, Sir.«
    »Wahrhaftig, das hast du. Doch nun zu etwas anderem: Nachdem Pebbles, der alte Stallmeister, vor einiger Zeit verstorben ist, brauchen unsere Stallungen einen neuen Vorsteher.« Vitus machte eine Pause. »Kennst du jemanden, der dafür in Frage käme, Keith?«
    »Ich, Sir? Hm, lasst mich mal überlegen.« Die Stirn des Jungen legte sich in Falten, dann zuckte er mit den Schultern. »Um offen zu sein, Sir, mir fällt kein geeigneter ein.«
    »Aber mir. Ich habe mich, auf Anraten von Mister Catfield, für dich entschieden.«
    »Was, für mich, Sir?« Die Ohren des Jungen wurden vor Freude noch röter. Mehrmals hob er an, seine Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen, doch er brachte kein Wort hervor.
    »Gut, dann ist es abgemacht. Ich komme nun zu den unabänderlichen Dingen, die ein Todesfall mit sich bringt …«
    In der nächsten Stunde besprach Vitus eingehend die geistlichen und weltlichen Notwendigkeiten, die im Rahmen einer standesgemäßen Beisetzung zu erledigen waren, und als schließlich alles bis in die kleinste Einzelheit geklärt und schon mancher am Tisch eingenickt war, schloss er:
    »Für heute mag es genug sein, denn wir alle haben einen langen Tag hinter uns. Vielleicht nur noch eines, das alle Anwesenden betrifft: Sowie mein Großonkel in der Familiengruft ruht und die letzten Feierlichkeiten beendet sind, werde ich alles daransetzen, ihm seinen Herzenswunsch zu erfüllen: Es ist der Wunsch, Lady Arlette zu finden und heimzuführen.«
    »Das wünschen der Zwerg und ich dir auch!«, rief der Magister spontan. »Ich hoffe nur, dass es dir mit Gottes Hilfe gelingen wird.«
    »Wui, wui!«
    »Mit Gottes Hilfe – und mit eurer.«

Die Wirtin Polyhymnia
    »Man müsste eine Seele aus Stein haben, um nicht zu spüren, dass es eine Frau ist, die du suchst.«
     
    I m Gegensatz zu den meisten Herbergen der Hafenstadt Plymouth wurde das Polly’s Wharf von einer Frau betrieben. Polly, eine ehemalige Hure, war es als einer der wenigen ihres Gewerbes vor Jahren gelungen, dem ewigen Kreislauf aus Prostitution, Alkohol und Diebereien zu entrinnen. Jetzt war sie Anfang vierzig – selbstbewusst, resolut und trotz eines kräftezehrenden Arbeitslebens noch immer vor Gesundheit strotzend. Sie trug Kleidung wie ein Mann, sprach wie ein Mann und pflegte zudem eine Passion, die man gewöhnlich nur bei Männern antraf: Sie rauchte Pfeife.
    Ihre zuweilen etwas brüske Art war nicht

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