Der Chirurg von Campodios
zwei Freunde mit in die Neue Welt zu nehmen.«
Wenn Drake von diesem Anliegen überrascht war, so zeigte er es jedenfalls nicht. Seine Rechte fuhr zwischen seine Beine, wo er sich ungeniert kratzte. »Aha. So ist das also. Dann hört mir mal zu, Herr Vitus von Campodios. Ich habe insgesamt fünf Schiffe, kleine Schiffe wohlgemerkt, weshalb jedes einzelne bis unters Schanzkleid voll gestopft ist, ich habe insgesamt ein hundertvierundsechzig Mann, darunter nicht nur Matrosen und Soldaten, sondern auch Wissenschaftler und Maler und Gentleman-Abenteurer wie meinen Freund Thomas Doughty, ich habe ferner eine hohe Verpflichtung bei Hofe, deren Art ich nicht näher erläutern will, ich habe Mut, ich habe Verstand, ich habe Gottvertrauen – das alles und noch viel mehr habe ich, verehrter Herr, aber das Einzige, was ich nicht habe, ist Platz!«
Vitus schluckte. »Ich verstehe, Sir. Doch meine Freunde und ich wollen die Überfahrt natürlich nicht umsonst.«
»So viel Geld, wie Euch die Reise kosten würde, könnt Ihr gar nicht haben.«
»Ich würde nicht mit Geld bezahlen. Ich würde Euch meine ärztliche Kunst für die Dauer der Fahrt zur Verfügung stellen. Ich bin examinierter Schiffschirurg.«
Drake ließ knarrend einen Wind fahren und wurde damit seinem Ruf, nichts auf die feinen Sitten zu geben, einmal mehr gerecht.
Vitus bezwang seinen aufkommenden Ärger. »Ich habe mein Examen bei Professor John Banester in London abgelegt, Sir«, hakte er nach. »Wie Ihr sicher wisst, ist der Professor so reputierlich, dass selbst Ihre Majestät die Königin sich seiner Künste versicherte.«
»Bei Banester habt Ihr Examen gemacht? Soso, der Mann versteht sein Handwerk^…« In Drakes Gesicht arbeitete es. Dann, plötzlich, sprang er zur Seite, riss die Kleider von einem der Stühle, ließ seine Seemannshose herunter und setzte sich. »Dann schaut Euch das mal an.«
Vitus blickte verständnislos.
Drake streckte das Bein vor und wies auf seinen Schenkel. »Vor fünf Jahren war’s, beim Angriff auf Nombre de Dios, als mir einer der verdammten Dons eine Kugel ins Bein jagte. Das Ding sitzt noch immer drin. Könnt Ihr es rausholen?«
Vitus kniete nieder und betrachtete das haarige Männerbein. Die Wunde war seinerzeit zweifellos kaum oder gar nicht versorgt worden, aber dennoch recht gut verheilt. Unter der sich spannenden Narbenhaut schimmerte es blauschwarz, unterbrochen von einigen dunklen Sprenkeln, die von Schießpulver herrühren mochten. Er tastete die Stelle ab. An einem bestimmten Punkt zuckte Drake leicht zusammen. »Habt Ihr Schmerzen, wenn ich hier drücke?«
»Nein.« Die Antwort kam so kurz und knapp, dass sie auf keinen Fall stimmte. Wahrscheinlich wollte
El Dragón
sich vor seinen Männern keine Blöße geben.
»Nun gut.« Vitus’ Hände untersuchten weiter. Die Kugel saß seiner Schätzung nach mindestens einen Zoll tief im Fleisch. Sie herauszuholen, würde nicht ganz einfach sein. Er richtete sich auf. »Es ist machbar, Herr Kommandant, wenn auch nicht ganz leicht.«
»Was werdet Ihr tun?«
»Ich werde einen ziemlich langen Schnitt vornehmen müssen, denn das Geschoss steckt tief unter der Haut. Der Schnitt muss so angesetzt werden, dass möglichst wenig Muskelfleisch in Mitleidenschaft gezogen wird. Auf die Beinschlagader, die sich in unmittelbarer Nähe befindet, muss besonders geachtet werden. Darin liegt die eigentliche Schwierigkeit. Die Kugel herauszupräpieren ist eher Formsache. Dazu bedarf es nur ein paar guter chirurgischer Instrumente, wie Wundhaken, Wundspreizer, Kugelholer und so weiter, aber das alles habe ich selbstverständlich.«
»Schön, was Ihr sagt, deckt sich mit den Erkenntnissen meines Arztes.«
»Verzeihung, Sir, aber wenn Ihr einen Arzt habt, warum hat er Euch nicht längst behandelt?«
Statt einer Antwort sagte Drake: »Angenommen, ich wollte mich von Euch operieren lassen, wie schnell kann ich danach wieder an Deck stehen und mein Geschwader führen?«
Vitus ahnte, worauf das Ganze hinauslief. »Wenn Ihr lebensmüde seid, Sir, noch am selben Tag. Wenn nicht, wartet Ihr eine Woche, bis sichergestellt ist, dass kein Wundbrand auftritt.«
»Schön«, sagte Drake abermals. »Auch das deckt sich mit der Meinung meines Arztes. Und jetzt, da ich zwei so gleich lautende Stellungnahmen habe, kann ich sicher sein, dass die erste Meinung stimmt – und alles beim Alten lassen.« Er stand auf und zog sich die Hose wieder hoch. »Oder glaubt Ihr im Ernst, ich hätte die Zeit,
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