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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Freunde blickten nach oben und erkannten den Mast, der wie eine hundertjährige Eiche vor ihnen emporwuchs.
    »Hier lagern die Kugeln für unsere Sechspfünder. Wie Ihr vielleicht bemerkt habt, verfügt die
Gallant
über insgesamt acht Sechspfünder, vier an Steuerbord und vier an Backbord.«
    Der Magister hielt die Lampe nach unten und betrachtete fasziniert die in Gestellen übereinander gestapelten Geschosse.
    »Die sehen aus wie erzene Kohlköpfe.«
    Ó Moghráin lachte und ließ sich die Laterne zurückgeben. Dann setzte er seine Dichtigkeitsprüfung fort, indem er auch in diesem Bereich die Innenbeplankung des Schiffsrumpfs ableuchtete. Wiederum schien er mit dem Ergebnis zufrieden zu sein. »Wir befinden uns jetzt im untersten Heckraum«, erklärte er und hängte die Laterne an ein Balkenknie. »Wenn die Schiffswand hier durchsichtig wäre, könntet Ihr das Ruderblatt sehen.«
    Vitus und der Magister blieben stehen und sahen sich um. Der kleine Raum im hintersten Bereich des Schiffs war nicht besonders bemerkenswert – außer ein paar faulig riechenden Netzen mit großen, als Schwimmer dienenden Korkstücken enthielt er nichts. »Was ist eigentlich unter uns?«, fragte der kleine Gelehrte und blickte auf die Planken zu seinen Füßen.
    »Ballast und Bilgewasser, Herr Magister. Der Ballast besteht aus Sand und großen Steinen, damit das Schiff in schwerem Wetter nicht so leicht kentert – was übrigens auch der Grund dafür ist, warum an Bord sämtliche Ladung von Gewicht möglichst weit nach unten verlagert wird, zum Beispiel die Vierpfünderrohre, die ich Euch vorhin zeigte.«
    »Macht das alles die
Gallant
nicht besonders schwerfällig?«, fragte Vitus.
    »Schwerfällig wäre der falsche Ausdruck.« Der Steuermann wog seine Worte sorgfältig ab. »Tatsache ist, dass Galeonen bei stürmischer See stark zum Stampfen neigen, was nichts für Leute mit empfindlichem Magen ist, andererseits sind sie außerordentlich seetüchtig und schneller als ihre Vorgängerinnen, die Karacken und Karavellen, die im Verhältnis breiter gebaut waren. Unsere
Gallant
allerdings kann auch nicht gerade schmal genannt werden.« Ó Moghráin verhielt für einen Augenblick und sprach dann weiter:
    »Nehmen wir an, eine Kriegsgaleone wäre eine heranrauschende, vor Schmuck starrende adlige Dame mit herablassendem Gehabe und spitzer Zunge, dann wäre unsere
Gallant
eine derbe, gutmütige Magd, zwar in abgerissener Kleidung, aber fleißig, tüchtig und mit festem Kern …
    Doch zum zweiten Stichwort: Bilgewasser befindet sich deshalb unter uns, weil Holz stark arbeitet. Bei Wärme dehnt es sich aus, bei Kälte zieht es sich zusammen. Die Folge ist, dass Seewasser durch die Verbindungen sickert, nach unten läuft und sich in der Bilge sammelt – einem Raum, der unter Euren Füßen liegt.«
    »Und der sicher auch von Ratten bewohnt wird«, ergänzte der Magister grimmig, denn eines der Tiere war ihm gerade wieder über die Schuhe gesprungen.
    »Worauf Ihr Euch verlassen könnt. Ratten auf Schiffen sind, wie gesagt, allgegenwärtig, doch je tiefer Ihr in den Bauch einer Galeone hinabsteigt, desto zahlreicher werden sie.«
    »Da kann’s ja nur noch besser werden«, seufzte der kleine Mann. »Mit Ratten ist es überhaupt ein eigen Ding: Werden sie totgeschlagen, dauern sie einen, springen sie einem über die Füße, wünscht man sie zur Hölle.«
    »Äh … wie meint Ihr?«
    »Schon gut, ich habe nur laut gedacht. Gebt mir nur wieder die Laterne, damit ich zu etwas nütze bin.«
    »Gern.« Ó Moghráin übergab die Lampe und schickte sich an, eine Treppe emporzusteigen. »Folgt mir diesen Niedergang hinauf, unsere nächste Station ist das Orlopdeck.«
    Im Orlopdeck schien es nicht ganz so feucht zu sein, obwohl es dort nicht viel anders aussah als im Laderaum. Sie passierten zunächst wieder eine Reihe von Kisten und Fässern, bevor Ó Moghráin an einer schweren Tür Halt machte. »Die Pulverkammer, Gentlemen. Normalerweise sollte sie gut gefüllt sein, für den Fall, dass man sich eines Feindes erwehren muss, hier aber werdet Ihr höchstens vier oder fünf Fässchen finden. Nicht genug für eine Schlacht.«
    Bei der nächsten Tür blieb der Steuermann abermals stehen. »Die Waffenkammer«, erklärte er, während er demonstrativ an das schwere Holz pochte. »Verriegelt und verrammelt. Darin befinden sich einige Musketen, Entermesser, Dolche und so weiter. Kapitän Stout überzeugt sich jeden Tag persönlich, ob sie verschlossen

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