Der Chirurg von Campodios
Heck der
Gallant
erschien. Ein großer Kopf mit heftig blinzelnden Augen sah auf ihn herab:
»Ó Moghráin versichert mir gerade, dass es sich um Euch und Eure Kameraden handelt, Bruder Ambrosius!«, rief der Magister froh. »Der Zimmermann und zwei weitere Männer sollen ebenfalls bei Euch sein.
Deo gratias!
Dann wären wir immerhin schon unserer neun, die überlebt haben.«
»Neun?«, rief Ambrosius verstört.
»Ihr hörtet richtig. Neben den bereits Genannten konnten sich auch die beiden, äh … Damen Phoebe und Phyllis retten, dazu der Cirurgicus, der sich auf einer Art Holzkasten über Wasser hält. Ihr könnt ihn von Eurer Position aus nicht sehen, weil der Rumpf des Wracks Euch die Sicht versperrt, aber in diesem Augenblick hat er das große Beiboot erreicht.«
Als Vitus auf seinem Weg zum Beiboot plötzlich die Stimme des kleinen Gelehrten vernahm, tat sein Herz vor Freude einen Sprung. »He, Magister, bist du das? Wo steckst du?«
»Hier oben bin ich, Vitus! Hier oben auf der Heckgalerie! Mir fällt ein Stein vom Herzen, du Unkraut! Hatte mir schon die schlimmsten Sorgen gemacht! Ó Moghráin ist übrigens auch hier. Was hast du da um den Kopf? Sieht aus wie ein Turban, ist aber wohl ein Verband?«
»Ein Verband? Was für ein Verband?«, rief er zurück und tastete seinen Kopf ab. »Tatsächlich, jemand muss ihn mir angelegt haben!«
Plötzlich kam Phoebes Stimme dazu: »’s war ich, Cirurgicus, ich war’s, Ihr habt ’ne Beule hinten am Kopp, so dick wie ’ne Runkelrübe!«
»Ja, ja, wie ’ne Runkelrübe«, bestätigte Phyllis.
Sein bester Freund lebte! Und nicht nur er!
Die Einsamkeit des Ozeans, die sich schon wie ein eiserner Ring um seine Brust gelegt hatte, fiel von ihm ab, und froh hielt er wieder auf das Wrack zu. Doch da! Unvermittelt hörte er Klopfzeichen aus dem Rumpf des Beiboots. Ein weiterer Überlebender? Aber wer? »He, Magister, vielleicht steckt unter dem Beiboot noch ein Mann!«
»Was? Großartig! Wer ist es?«
»Ich weiß es nicht. Möglicherweise sind es auch nur Ratten. Es piepst so unter dem Holz!«
»Komm erst mal zum Wrack. Allein kannst du sowieso nichts ausrichten!«
Auf dem Rückweg trieb ihm die Großmastspiere entgegen, darangeklammert der Mönch Ambrosius, der Zimmermann Bride und zwei weitere Männer, an deren Namen er sich nicht erinnerte. Gemeinsam bewegten sie sich weiter in Richtung Wrack.
Dort angelangt rief Vitus hinauf: »Mister Ó Moghráin, ist es möglich, einen Mann unter dem Beiboot hervorzuholen?«
Der Steuermann zögerte geraume Weile. Dann antwortete er mit Bedacht: »Wer ihn da rausholen kann, Cirurgicus, muss in der Lage sein, das Boot umzudrehen, und wer das Boot umdrehen kann, der kann sich auch hineinsetzen und überleben.«
»Überleben, das klingt gut!«
»Jedenfalls hat er den Hauch einer Chance dazu.«
Als sie später beratschlagten, wie es gelingen könne, das Boot zu drehen, gaben die Frauen und Männer der
Gallant
ein groteskes Bild ab. Wie die Zapfen an einem im Wasser treibenden Kiefernast hingen sie an der Großmastspiere: der Mönch Ambrosius, der Zimmermann Bride, ferner Bantry, Fraggles und mittlerweile auch Vitus – und oben, am höchsten Punkt des aufragenden Hecks, saßen der Magister, Ó Moghráin und die beiden jungen Frauen.
Sie überlegten lange und sorgfältig, denn sie überlegten um ihr Leben. Endlich hatten sie sich geeinigt. Ihr Beschluss ging dahin, dass Ó Moghráin für die Dauer der Bergungsaktion das Kommando übernehmen sollte.
Als Erstes galt es, die Spiere vor dem Davontreiben zu sichern, schließlich war sie der rettende Halt für fünf Überlebende. Der Steuermann löste das Problem, indem er auf ein vorbeischwimmendes Tau wies und Bride befahl, es aufzufischen, sodann das eine Ende um die Spiere zu laschen und das andere mit dem untersten Scharnier des weit aus dem Meer ragenden Ruderblattes zu verknoten.
»Sehr gut, Mister Bride!«, rief Ó Moghráin aus luftiger Höhe, als der Zimmermann fertig war. »Ihr werdet als Nächstes mit einer Leine um den Leib zum Beiboot schwimmen; die Leine wird derweil von Ambrosius und den anderen Männern gehalten werden. So schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe: Einerseits könnt Ihr nicht verloren gehen, andererseits wird eine Verbindung zum Beiboot hergestellt.«
»Aye, aye, Sir!«, rief Bride vorschriftsmäßig zurück. »Haben wir denn eine so lange Leine?«
»Das ist die Schwierigkeit. Wir können sie nur mit Hilfe unserer zwei Damen
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