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Der Chirurg von Campodios

Der Chirurg von Campodios

Titel: Der Chirurg von Campodios Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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zweiten hatte er ein schönes Loch in den Pelz gebrannt, und den dritten, den dritten hatte er nicht gesehen … Der war von hinten an ihn herangeschlichen, hatte, weil seine Degenspitze bei den ersten Streichen abgebrochen war, ein bereitliegendes Klopfholz genommen und es dem wehrhaften Mönch über den Kopf geschlagen.
    Ambrosius war ein starker Mann und zudem in den besten Jahren, aber dieser Hieb war selbst für ihn zu viel gewesen. Er war wie ein gefällter Baum auf die Decksplanken gestürzt und hatte dabei den Zimmermann mitgerissen, dessen Schläfe hart auf ein bronzenes Sechspfünderrohr aufschlug. Das Handgemenge über ihnen war, zu ihrem Glück, ohne sie weitergelaufen, sonst wäre es ihnen ähnlich ergangen wie Gideon, einem jungen Matrosen, der kurz darauf erschlagen wurde. Auch die beiden anderen Männer, Fraggles und Bantry, würde ein gleiches Schicksal ereilt haben, wenn nicht weitere Piraten, vom Oberdeck kommend, herabgestürzt wären, »Gold! Gold! Gold!« brüllend und alle Angreifer mit sich reißend.
    Dann, etwas später, war die Pulverkammer in die Luft geflogen, und die Ereignisse im Batteriedeck hatten sich überschlagen. Ambrosius war von einem stumpfen Spantholz im Kreuz getroffen worden, was ihn zwar übergangslos aus seinem Tiefschlaf erweckte, aber auch dafür sorgte, dass ihm für einige höchst unangenehme Augenblicke die Luft wegblieb. Doch für Selbstmitleid war keine Zeit gewesen, denn schon neigte sich die
Gallant
gefährlich, und kaltes Seewasser schoss rauschend durch die offene Bordwand ins Schiff. Zwei, drei Kanonen gerieten so extrem in Schieflage, dass sie sich losrissen und unter gewaltigem Getöse in die Tiefe rauschten, dabei Innenwände und Balken wie Papier durchschlagend. Endlich, nach quälend langen Augenblicken, schienen sie unten im Vorschiff von Ballen oder Fässern aufgehalten worden zu sein. »Gottlob, sie haben den Bug nicht durchschlagen!«, hatte der ebenfalls wieder erwachte Bride gekeucht, und Fraggles und Bantry hatten mit verkniffenen Gesichtern genickt.
    Dennoch musste die
Gallant
irgendwo im Vorschiff ein riesiges Loch haben, denn schnell war der Wasserpegel gestiegen, und der Mönch, der wie viele seiner Glaubensbrüder nicht schwimmen konnte, drohte zu ertrinken. »Allmächtiger Gott, Du Gnadenreicher, ich flehe Dich an, lass mich noch nicht sterben, lass mich noch nicht sterben, lass mich …!«
    Bride hatte ihn, heftig wassertretend, unterbrochen und auf die Schiffswände gewiesen, die in dem zunehmend dunkler werdenden Licht schwarz wie das Innere eines Sargs wirkten, nicht zuletzt, weil alle Geschützpforten fest verschlossen waren. Der einzige Ausweg, der sie aus ihrem nassen Grab führen konnte, war die offene Geschützpforte gewesen, an deren Verschluss sie gearbeitet hatten. Diese Öffnung aber hatte sich bereits tief unter ihnen im Wasser befunden, ein blasses, waberndes grünes Schlupfloch, das sich mit jeder Minute, da der Wasserspiegel stieg, mehr entfernte.
    »Wir müssen tauchen und da unten raus!«, hatte der Zimmermann geschrien.
    Unmöglich! Ambrosius konnte nicht schwimmen. Geschweige denn tauchen.
    Dennoch: Es musste sein! Und irgendwie hatten sie es geschafft. Nicht nur Bride, der ihn fast brutal unter Wasser gestoßen hatte, auch Fraggles und Bantry waren mit herausgekommen.
    Oben an der Wasseroberfläche hatte Bride ihn mit seinen starken Zimmermannsfäusten gepackt und sich unter seinen Oberkörper geschoben, damit er nicht ertrank. Ambrosius hatte sich noch nie so hilflos gefühlt.
    »… aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem Meer.
    Und da ihn die Jünger sahen auf dem Meer gehen, erschraken sie und sprachen: Es ist ein Gespenst! und schrien vor Furcht.
    Aber alsbald redete Jesus mit ihnen und sprach: Seid getrost, ich bin’s; fürchtet euch nicht!«
    Die Worte aus dem Evangelium des Matthäus, von ihm laut über die See gerufen, hatten Ambrosius Kraft verliehen, und kurz darauf war er beschämt worden für seine vorherige Kleingläubigkeit, denn die Spiere des Großmasts kam vorbeigetrieben, und sie konnten daran sicheren Halt finden.
    Als alles dies geschehen war und die vier sich seitlich an dem starken Mastteil festhielten, nahm Ambrosius sich vor, nie wieder an seinem Herrgott zu zweifeln.
    Und aus dem Himmel herab kam eine Stimme, die sprach zu ihm: »He, was treibt sich da unten denn für ein vielbeiniger Wasserkäfer herum?«
    Verwirrt blickte Ambrosius nach oben, wo hoch über ihm das

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