Der Clan
einen Flug der Northwest direkt nach Detroit, und hatte seinen ersten Trauerschock noch nicht überwunden, als er ankam. Cindy war ebenfalls schon da. Sie hatte John und Anna mitgebracht, die ande-ren drei kleinen Kinder aber zu Hause beim Au-pair-Mädchen gelassen.
Angelos Bruder und dessen Frau brachten drei ihrer Kinder und fünf Enkel aus Florida mit. Seine ältere Schwester kam zwar ohne ihren Ehemann, aber mit ihren vier Kindern und vier Enkeln. Seine jüngere Schwester war mit ihrem zweiten Mann und ihren Kindern aus beiden Ehen gekommen.
Ihre Mutter Jenny empfing sie und alle anderen Trauergäste mit gefaßter Würde. Nur gelegentlich wischte sie sich mit dem Taschentuch, das sie in der linken Hand zerknüllte, die Augen. Ansonsten war sie bewundernswert gefaßt, während sie die zahllosen Beileidsbezeigungen entgegennahm. Mit den meisten Leuten sprach sie englisch, mit manchen aber auch italienisch.
Zum Trauergottesdienst in St. Jude’s waren über fünfhundert Leute erschienen. Betsy war aus London hergeflogen, Alicia Hardeman aus Greenwich, und auch Loren und Roberta waren gekommen. Der schon alt und gebrechlich gewordene Jacob Weinstein kam mit seinem Privatjet aus Arizona, und sogar aus Palermo war eine eigene Abordnung von vier Sizilianern eingetroffen, zwei alte Männer in Begleitung von zwei Männern mittleren Alters, alle im gleichen schwarzen Anzug mit schwarzer Seidenkrawatte. Von den anwesenden Mitgliedern der italienischsprechenden Gemeinde wurden sie mit respektvollen Umarmungen begrüßt. Selbst der Gouverneur von Michigan war da, und auch der Bürgermeister von Detroit fehlte nicht. Mindestens fünf Ärzte und Chirurgen erwiesen dem Verstorbenen die letzte Ehre.
»Wie ihr seht«, flüsterte Cindy John und Anna zu, »war euer Großvater ein bedeutender Mann.«
John nickte ernst, Anna, allein von dem Ereignis bereits zu Tränen gerührt, verbarg weinend das Gesicht in den Händen.
Ein Dutzend Fernsehkameras waren auf die Kirchentreppe gerichtet, als die Totenglocke läutete und der Sarg herausgetragen wurde. Vier offene Fahrzeuge transportierten die zahllosen Kränze und Blumengebinde. Sechzig Autos bildeten dahinter den langen Leichenzug zum Friedhof.
Angelos Elternhaus war nicht groß genug für den anschließenden Trauerempfang, der deshalb im Garten des Italienisch-Amerikanischen Clubs stattfand, wo es außer fröhlichen Hochzeitsgesellschaften auch schon zahlreiche solcher traurigen Anlässe gegeben hatte.
Von allen seinen Geschwistern beherrschte nur noch Angelo Italienisch fließend. Er übernahm es deshalb, die Trauergäste aus Sizilien im Namen der Familie zu begrüßen und ihnen für ihr Erscheinen zu danken.
»Buongiorno, Signore Calabrese. Molte grazie, molte grazie. Questa e mia moglie, Cindy. Anche mio figlio e mia figlia, Giovanne ed Anna.«
Jedes ihrer Kinder bot der Mutter an, sie bei sich aufzunehmen, doch sie wehrte ab. Sie wollte das Haus nicht verlassen, sagte sie, in dem sie zusammen mit ihrem Mann so viele glückliche Jahre verbracht hatte. Sie hatte ja viele Freunde in ihrer Umgebung, sagte sie, und war deshalb nicht allein.
Cindy und Betsy standen bei einem Glas Wein zusammen. Seit Cindy Verständnis für die Tatsache bekundet hatte, daß Angelo der Vater ihres Sohnes John war und keinen Aufruhr darüber angezettelt hatte, fühlte Betsy sich zu ihr hingezogen.
»Ich habe mich immer gefragt«, sagte sie, »wie es sein müßte, zu einer großen Familie zu gehören, in der Liebe herrscht und in der alle füreinander da sind.«
»Das kann auch ziemlich lästig werden«, sagte Cindy. »So eine Familie kann einen erdrücken. Natürlich ist das bei Angelo nicht der Fall gewesen, aber ...«
»Nun, wer könnte einen Angelo schon erdrücken«, warf Betsy ein.
»Ich habe eine recht große Familie gegründet«, meinte Cindy. »Da kann ich nur hoffen, sie erdrücken sich nicht eines Tages gegenseitig.«
»Nummer eins«, sagte Betsy, »hatte zwei Kinder. Nummer zwei starb in dem Glauben, ebenfalls zwei zu haben, hatte aber tatsächlich nur eines. Anne war nicht seine Tochter. Und mein Vater hat nur eine Tochter. Er hat einige abfällige Dinge darüber gesagt, daß ich fünf Kinder habe, und auch darüber, daß Sie ihrerseits ebenfalls fünf haben.«
Cindy lächelte und schüttelte den Kopf. Sie hatte Angelo noch nichts davon gesagt und wollte es auch Betsy nicht sagen, daß sie inzwischen mit ihrem bereits sechsten Kind schwanger ging.
1988 1
Aber sie vertraute
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