Der Clan
schönen Fenstertisch, wo sie alle vorübergehenden Passanten betrachten konnten.
Betsy war wie immer hinreißend schön. Diesmal hatte sie ein einfaches griechisches Kleid an, weiß mit Goldpaspeln, knielang und mit einem atemraubenden Decollete. Sie war jetzt achtundzwanzig, hatte aber noch immer ihre frische unbekümmerte Jugendlichkeit. Ihre vielen Abenteuer hatten sie erstaunlicherweise nicht verdorben oder ließen sie gar verlebt aussehen. Angelo war völlig klar, daß es nicht gut war, sie zu treffen und erst recht nicht, mit ihr ins Bett zu gehen, aber es war ihr nicht zu widerstehen. Außerdem gab es auch ein Vernunftsargument. Wenn er sich von ihr trennte und lossagte, war sie imstande, aus Wut alles auszuplaudern.
»Also, was ist das für eine Geschichte mit diesem Psychiater?« fragte er sie.
»Er hat mich verführt«, erklärte Betsy mit solcher Unschuld, daß er ihr fast glaubte. »Max ist ein so altmodischer Mann. Er kam einfach rüber von Amsterdam und schlug ihn zusammen.«
»Hat man mir erzählt, ja.«
»Weißt du übrigens, daß Roberta auch gerade in London ist?« fragte Betsy ihrerseits abrupt.
»Ja, weiß ich.«
»Ich treffe mich morgen mit ihr zum Lunch. Sie kommt vorbei, um sich Sally anzusehen. Danach gehen wir irgendwohin. Irgendwas Elegantes und Teures. Sie bezahlt, hat sie gesagt.«
»Magst du sie eigentlich?« fragte er.
Betsy zögerte einen Moment. Dann sagte sie: »Ich erzähle dir etwas von ihr und meinem Vater. Ich denke, das solltest du ruhig wissen. Mein Großvater, die sogenannte Nummer zwei, funktionierte sexuell bekanntlich nicht so richtig. Aber das weißt du ja alles. Doch mit meinem Vater ist es genauso, in bestimmter Weise.«
»Du meinst, er ist schwul?«
Betsy lachte bitter auf. »Ach, wenn es nur das wäre. Nein, er ist Masochist, und sie ist Sadistin. Sie züchtigt ihn.«
Angelo verspürte einen Stich in der Brust. Was wußte Betsy wirklich? Er beruhigte sich aber sofort selbst und fragte: »Woher weißt du denn das, und wie kommst du darauf?«
Betsy machte schmale Augen. Dann öffnete sie den Mund ein wenig und fuhr sich mit der Zungenspitze über die Zähne. »Nummer eins hat es mir gesagt. Nicht lange, bevor er starb.«
»Und woher wußte er es?«
»Ach, Angelo, als ob du nicht genau wüßtest, daß der Kerl alles wußte. Viel zuviel, wenn du mich fragst. Ich habe dir doch von dem Videoband erzählt, das er von uns beiden hatte. Von meinem Vater und von Roberta hatte er eben auch eines. Er hat es mir nicht gezeigt, aber gesagt, daß er es hat. Es war eine von all den Kassetten, die ich in der Nacht seines Todes wegschaffte und verbrannte.«
Angelo legte eine Hand auf die ihre. »Wir schleppen da viel schweres Gepäck mit uns herum, Betsy, nicht?«
»Jedesmal, wenn ich an diese Kassetten denke«, sagte sie, »wird mir leicht unbehaglich. Nummer eins hat sie ja nicht selbst aufgenommen. Irgendwer hat das in seinem Auftrag gemacht. Ich wundere mich, daß derjenige die ganze Zeit sich noch nicht gemeldet hat, um uns zu erpressen. Drei Jahre ist das jetzt her.«
Angelo beschloß, ihr nichts von dem Anruf Craddocks zu sagen. Er hatte nie mehr etwas von dem Mann gehört. »Wie sollte er?« sagte er statt dessen. »Als er sich die Bänder holen wollte, waren sie nicht mehr da. Und er konnte ja nicht gut offen danach fragen.«
»Aber er kennt sie, er weiß alles! Himmel, was der Kerl alles weiß!«
»Ja, aber er kann nichts damit anfangen. Er kann es nicht riskieren! Gäbe es noch andere Bänder oder Kopien oder andere Beweise, dann hätte er sich schon längst gemeldet, das kannst du mir glauben. Nummer eins hatte Hauspersonal. Er tat so, als vertraute er ihnen, aber er tat es natürlich nicht. Was ihn betrifft, waren diese Leute immer nur Dienerschaft.«
»Ja, und du warst immer ein Angestellter«, sagte Betsy.
»Je nun, ich war ja auch nie ein Hardeman.«
»Bin ich doch auch nicht. Oder?«
»Ach, Miß Elizabeth, du bist wahrscheinlich sogar die Hardeman-ste von allen!«
»Du Blödmann!«
»Stimmt doch. Du bist die einzige echte Erbin, die Nummer eins hinterließ. Du bist genauso unerschrocken wie er und genauso raffiniert.«
»Ja, und er hat mich gehaßt.«
»Selbstverständlich.«
»Er war böse«, sagte Betsy. »Rücksichtslos. Ein Sadist. Ein Schwein. Habe ich das wirklich alles von ihm?«
»Wird sich vielleicht noch zeigen«, sagte Angelo abwiegelnd. Aber er wußte, daß es stimmte. Selbst seine Gesichtszüge hatte sie. Sie war wirklich eine
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