Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers
alle körperlichen Genüsse, die man mit ihnen haben konnte, schätzte seine Frau und verlieà sich darauf, dass sie ihm den Haushalt führte, seine Kinder gut erzog und zu ihm hielt, doch die Vorstellung, ihr treu zu sein, war ihm völlig fremd. Daher beunruhigte ihn die hartnäckige Erinnerung an die plötzliche und unerwartete Intimität mit Sada. Er hatte bislang nichts Vergleichbares gefühlt, nie ein Verlangen von solcher Stärke erlebt oder eine so vollständige und durchdringende Erfüllung gefunden. Ihr Körper, so groà und kräftig wie der seine, fast wie der eines Mannes und doch der einer Frau, ihr eigenes Verlangen, das sie dazu bewog, sich ihm hinzugeben, und das sich auf ihn übertragen hatte. Er hatte kaum schlafen können, hatte sich nurdanach gesehnt, wieder neben ihr zu liegen, und als er nun im Garten des Schlosses von Maruyama mit Sugita Hiroshi sprach, konnte er sich kaum auf die Worte seines Freundes konzentrieren. Wir sind zusammen aufgewachsen. Es muss keine Bedeutung haben , hatte sie gesagt, und das hatte seinen Teil zu diesem berauschenden Erlebnis beigetragen, denn aus der früheren Gefährtin, fast Schwester, war eine Geliebte geworden. Und er hatte aus unbewusster Erkenntnis erwidert: Nichts zwischen uns kann bedeutungslos sein.
Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder seinem Freund zu. Sie waren gleichaltrig und würden im nächsten Jahr beide siebenundzwanzig werden. Doch während Taku den drahtigen Körper und das unscheinbare, bewegliche Gesicht der Muto besaÃ, galt Sugita Hiroshi als gut aussehend, war einen halben Kopf gröÃer als Taku, hatte breitere Schultern sowie die blasse Haut und die feinen Gesichtszüge der Kriegerklasse. Als Jungen hatten sie um die Aufmerksamkeit Lord Takeos gestritten und gewetteifert. Gemeinsam hatten sie die Fohlen zugeritten und waren später während eines rauschhaften Sommers Liebende gewesen. Seither waren sie durch eine tiefe Freundschaft miteinander verbunden.
Es war früh am Morgen und versprach, ein herrlicher Herbsttag zu werden. Der Himmel war vom klaren, blassen Blau eines Vogeleis und die Sonne schickte sich an, auf den Reisfeldern den Nebel über den goldenen Stoppeln aufzulösen. Es war die erste Gelegenheit der beiden Männer für ein Gespräch unter vier Augen, seit Taku gemeinsam mit Lord Kono eingetroffen war. Siehatten das bevorstehende Treffen von Lord Otori und Arai Zenko erörtert, das im Laufe der nächsten Wochen in Maruyama stattfinden sollte.
»Zum Vollmond des nächsten Monats müssen Takeo und Lady Shigeko hier sein«, sagte Hiroshi. »Doch ihre Ankunft hat sich ein wenig verzögert, weil sie in Terayama noch das Grab von Matsuda Shingen besuchen mussten.«
»Traurig für Takeo, in einem Jahr seine beiden wichtigsten Lehrer zu verlieren. Er war noch gar nicht wirklich über Kenjis Tod hinweggekommen«, bemerkte Taku.
»Matsudas Verscheiden war weder so unerwartet noch so verstörend wie Kenjis. Unser Abt war mehr als achtzig Jahre alt, das ist ein auÃerordentlich langes Leben. Und er hat würdige Nachfolger. Wie dein Onkel in dir. Du wirst für Takeo werden, was Kenji immer für ihn war.«
»Das Geschick und die Hellsichtigkeit meines Onkels vermisse ich jetzt schon«, gestand Taku. »Die Lage scheint mit jeder Woche komplizierter zu werden. Die Intrigen meines Bruders, die selbst ich nicht ganz durchschaue, Lord Kono und die Forderungen des Kaisers, die Weigerung der Kikuta zu verhandeln â¦Â«
»Als ich in Hagi war, wirkte Takeo ungewöhnlich gedankenverloren«, sagte Hiroshi zögernd.
»Nun, von seiner Trauer und all den Staatsangelegenheiten abgesehen hat er wohl noch andere Sorgen«, erwiderte Taku. »Die Schwangerschaft von Lady Otori, Probleme mit seinen Töchtern.«
»Ist etwas mit Lady Shigeko?«, unterbrach Hiroshi ihn. »Sie war bei guter Gesundheit, als ich sie zuletzt gesehen habe â¦Â«
»Soweit ich weiÃ, nicht. Es geht um die Zwillinge«, sagte Taku. »Ich habe jetzt Maya hier. Nur zur Warnung, falls du sie erkennen solltest.«
»Hier bei dir?«, wiederholte Hiroshi überrascht.
»Sie ist als Junge verkleidet. Wahrscheinlich wird sie dir gar nicht auffallen. Eine junge Frau kümmert sich um sie, auch als Mann verkleidet, eine entfernte Verwandte von mir. Sie heiÃt Sada.«
Er hatte keinen Anlass, ihren Namen zu
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