Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers
wert. Und deine Meister haben Takeo dazu bewegt, keinen Krieg zu führen, weder im Osten noch im Westen?«
»Ja, wenn er kommt, wird er Lord Kono darüber in Kenntnis setzen, dass unsere Botschafter nach Miyako unterwegs sind, um den Besuch im nächsten Jahr vorzubereiten.«
»Hältst du diesen Besuch für weise? Unterwirft Takeo sich damit nicht einfach nur der Macht dieses neuen Generals, des Hundefängers?«
»Alles, was einen Krieg verhindert, ist weise«, antwortete Hiroshi.
»Vergib mir, aber aus dem Mund eines Kriegers klingen diese Worte seltsam!«
»Taku, wir haben beide den Tod unserer Väter mitansehen müssen â¦Â«
»Mein Vater hatte seinen Tod auf jeden Fall verdient! Ich werde nie den Moment vergessen, als ich dachte, Takeo würde Zenko töten â¦Â«
»Dein Vater hat korrekt und seinen Ãberzeugungen und seinem Ehrenkodex gemäà gehandelt«, sagte Hiroshi ruhig.
»Er hat Takeo verraten, nachdem er geschworen hatte, sich mit ihm zu verbünden!«, rief Taku.
»Hätte er das nicht getan, dann hätte Takeo sich früher oder später gegen ihn gewandt. Das liegt im Wesen unserer Gesellschaft. Wir kämpfen, bis wir des Krieges müde sind, und nach ein paar Jahren sind wir des Friedens müde und kämpfen wieder. Wir maskieren unsere Blutrünstigkeit und unsere Rachegelüste mit einem Ehrenkodex, den wir aber brechen, wann immer es uns geboten erscheint.«
»Hast du wirklich nie einen Mann getötet?«, fragte Taku unvermittelt.
»Man hat mich viele Arten des Tötens gelehrt und mich in Schlachttaktiken und Kriegsstrategie unterrichtet, bevor ich zehn Jahre alt wurde, aber ich habe nie in einer Schlacht gekämpft und ich habe nie jemanden getötet. Ich hoffe, ich werde es nie tun müssen.«
»Warte ab, bis du mitten in einem Kampf bist, dann wirst du deine Meinung schon ändern«, sagte Taku. »Dann wirst du dich verteidigen wie jeder andere Mann.«
»Vielleicht. Aber in der Zwischenzeit werde ich alles in meiner Macht Stehende tun, um einen Krieg zu verhindern.«
»Ich fürchte, mein Bruder und der Kaiser werden dafür sorgen, dass es passiert. Vor allem jetzt, da sie Feuerwaffen besitzen. Du kannst dir sicher sein, sie werden nicht ruhen, bis sie ihre neuen Waffen ausprobiert haben.«
Am anderen Ende des Gartens bewegte sich etwas,und dann kam ein Wachtposten angerannt und fiel vor Hiroshi auf die Knie.
»Lord Kono kommt, Lord Sugita!«
In Gegenwart des Edelmannes veränderten sich beide ein wenig: Taku war stärker auf der Hut, Hiroshi scheinbar offener und freundlicher. Kono wollte so viel wie möglich von der Stadt und ihrer Umgebung sehen und sie unternahmen zahlreiche Ausflüge, bei denen der Edelmann in seiner üppig vergoldeten, lackierten Sänfte getragen wurde. Die beiden jungen Männer begleiteten ihn zu Pferde. Sie ritten Rakus Söhne, die genauso alte Freunde waren wie ihre Reiter. Das Herbstwetter blieb klar und schön und das Laub wurde mit jedem Tag leuchtender. Hiroshi und Taku nutzten jede Gelegenheit, um Kono den Wohlstand der Domäne vor Augen zu führen, ihre wehrhaften Verteidigungsanlagen und die Zahl der Soldaten, die Zufriedenheit ihrer Bewohner und deren unverbrüchliche Treue zu Lord Otori. Der Edelmann nahm alle diese Informationen wie gewohnt mit gelassener Höflichkeit auf, ohne seine wahren Gefühle preiszugeben.
Manchmal kam Maya mit auf diese Ausflüge. Sie ritt hinten auf Sadas Pferd, und gelegentlich war sie Kono und seinen Beratern nahe genug, um etwas von ihrem Gemurmel hören zu können. Sie fand die Gespräche langweilig und belanglos, prägte sie sich aber ein und gab sie Taku Wort für Wort wieder, wenn er, was alle zwei oder drei Tage geschah, das Haus besuchte, in dem sie mit Sada wohnte. Sie schliefen in einem kleinen Zimmerhinten im Haus, denn manchmal kam Taku erst spät am Abend und wollte noch mit Maya sprechen, auch wenn sie schon schlief. Man erwartete von ihr, dass sie nach Art des Stammes, dessen Angehörige ihr Schlafbedürfnis genauso unter Kontrolle hatten wie alle anderen Bedürfnisse und Wünsche, sofort erwachte. Für diese nächtlichen Treffen mit ihrem Lehrer musste sie all ihre Kraft und Konzentration aufbieten.
Taku war oft müde und angespannt und er hatte wenig Geduld. Das Arbeiten mit ihm war anspruchsvoll und sie kamen nur langsam
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