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Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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nun war sein Gesicht erstarrt, seine Miene ernst.
    Â»Sein Bruder, Lord Zenko, wird sich doch sicher um alles gekümmert haben?«
    Â»Ich fürchte, dass Lord Zenko unter den Einfluss der Fremden geraten ist. Man hat es zwar nicht offiziell verkündet, aber alle reden davon. Er hat ihren Glauben angenommen und bezeichnet ihn als den einzig wahren. Daher darf er unsere Tempel und Schreine nicht mehr betreten und kann auch die Zeremonien für seinen Bruder nicht ausführen.«
    Shizuka starrte den Priester an. Sie konnte kaum glauben, was sie da hörte.
    Â»Das hat für viel Unruhe gesorgt«, fuhr der Abt fort. »Zeichen und Omen deuten darauf hin, dass die Götter beleidigt sind. Die Menschen befürchten, für die Taten ihres Lords bestraft zu werden. Die Fremden beharren allerdings darauf, ihr großer Gott, Deus, werde Zenko und alle anderen belohnen, die sich ihm anschließen.
    Was die meisten seiner Gefolgsleute betrifft«, fügte er hinzu, »die man vor die Wahl stellte, entweder zu konvertieren oder zu sterben.«
    Â»Was für ein Wahnsinn«, sagte Shizuka, entschlossen, so bald wie möglich mit Zenko zu reden. Sie wartete nicht, bis er sie zu sich bestellte, sondern kleidete sich sorgfältig an, als sie wieder in der Herberge war, und bestellte eine Sänfte.
    Â»Warte hier auf mich«, sagte sie zu Miki. »Wenn ich bis zum Abend nicht zurück bin, geh nach Daifukuji. Dort wird man sich um dich kümmern.« Das Mädchen umarmte sie mit ungewohnter Heftigkeit.
    Nachdem die Sänfte innerhalb der Mauern abgesetzt worden war, trat Zenko auf die Verandastufen. Shizuka wurde kurz leichter um das Herz und sie glaubte, ihn vielleicht falsch eingeschätzt zu haben. Seine ersten Worte waren voller Mitgefühl, er verlieh seiner Freude darüber Ausdruck, sie zu sehen, und war überrascht, dass sie nicht gleich zu ihm gekommen war.
    Ihr Blick fiel auf die Gebetskette, die er um den Hals trug. Vor seiner Brust hing das Kreuz, Symbol der Religion der Fremden.
    Â»Diese furchtbare Neuigkeit ist ein schlimmer Schockfür uns alle«, sagte er, als er sie in seine zum Garten zeigenden Privatgemächer führte.
    Ein kleines Kind, sein jüngster Sohn, spielte unter Aufsicht seiner Kinderfrau auf der Veranda.
    Â»Komm und sag deiner Großmutter guten Tag«, rief Zenko, und der Junge kam gehorsam in das Zimmer und fiel auf die Knie. Shizuka sah ihn zum ersten Mal: Er war ungefähr zwei Jahre alt.
    Â»Wie du weißt, ist meine Frau nach Hagi gereist, um bei ihrer Schwester zu sein. Sie wollte den kleinen Hiromasa nicht hierlassen, aber ich wollte wenigstens einen meiner Söhne bei mir behalten.«
    Â»Dann ist dir also bewusst, dass du mit dem Leben deiner anderen Söhne spielst?«, fragte sie leise.
    Â»Mutter, in zwei Wochen ist Hana bei ihnen. Ich glaube nicht, dass sie in irgendeiner Gefahr schweben. Im Übrigen habe ich nichts Falsches getan. Meine Hände sind sauber.« Er zeigte sie seiner Mutter und nahm dann die Hände des Kindes. »Sauberer als Hiromasas«, neckte er seinen Sohn.
    Â»Er hat Kikutahände!«, rief Shizuka erstaunt. »Warum hast du mir das nicht erzählt?«
    Â»Ja, interessant, nicht wahr? Das Blut des Stammes kann nie ganz verschwinden.« Er sah sie mit breitem Lächeln an und befahl der Dienerin, das Kind mitzunehmen.
    Â»Er erinnert mich an Taku«, sagte er und wischte sich mit dem Ärmel über ein Auge. »Wenigstens ein kleiner Trost, dass mein armer Bruder in meinem Sohn fortlebt.«
    Â»Vielleicht erzählst du mir, wer ihn getötet hat«, sagte Shizuka.
    Â»Allem Anschein nach waren es Räuber. Wer sollte es sonst gewesen sein? Ich werde sie verfolgen und verurteilen lassen. Da Takeo außer Landes ist, fassen verzweifelte Männer auf einmal Mut und kommen aus ihren Verstecken. Das ist ja ganz natürlich.«
    Es war ihm offensichtlich egal, ob sie ihm glaubte oder nicht.
    Â»Was, wenn ich dir befehle, mir die Wahrheit zu sagen?«
    Seine Blick flackerte. Er wandte sich von ihr ab und verbarg das Gesicht wieder hinter dem Ärmel. Doch sie hatte das Gefühl, dass er nicht weinte, sondern lächelte – überrascht und erfreut über seine eigene Kühnheit.
    Â»Reden wir nicht von Befehlen, Mutter. Ich werde alle meine Pflichten als Sohn dir gegenüber erfüllen, aber in jeder anderen Hinsicht halte ich es für angebracht, dass du mir

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