Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers
Zusammenhang gebracht, die Steuern und Rekrutierung regelten. Kein Landbesitzer durfte mehr als dreiÃig von hundert Teilen für sich beanspruchen, sei es von Reis, Bohnen oder Ãl. Die Söhne der Bauern mussten keinen Kriegsdienst leisten, dafür aber einen Teil der öffentlichen Arbeiten übernehmen, Land entwässern, Dämme und Brücken bauen und Kanäle graben. Auch beim Bergbau wurde rekrutiert, weil diese Arbeit so hart und gefährlich war, dass es kaum Freiwillige gab. Doch bei allen Arten der Rekrutierung wechselten sich die Bezirke und Altersgruppen ab, so dass niemand eine ungerechte Last zu tragen hatte, und für Tod und Verletzungen gab es nach Schweregrad gestaffelte Entschädigungen. Diese Regelungen waren als die Jo-An-Gesetze bekannt.
Die Fremden waren begierig darauf, über ihren Glauben zu sprechen, und Takeo hatte vorsichtshalber Treffen mit Makoto und anderen religiösen Führern organisiert. Doch diese waren ausgegangen wie erwartet â beide Seiten waren fest von der Wahrheit ihrer jeweiligen Position überzeugt und fragten sich insgeheim, wie man den Unsinn glauben konnte, den ihr Gegenüber verbreitete. Der Glaube der Fremden, dachte Takeo, entstammte der gleichen Quelle wie der der Verborgenen, war jedoch im Laufe der Jahrhunderte verfälscht und von Aberglauben entstellt worden. Er war selbst im Glauben der Verborgenen erzogen worden, hatte aber alle Lehren seiner Kindheit verworfen und betrachtete alle Religionen mit Misstrauen und Skepsis, besonders den Glauben derFremden, der in seinen Augen mit ihrer Gier nach Reichtum, Status und Macht zusammenhing.
Jenen Glaubenssatz, der ihn stark beschäftigte â dass man nicht töten solle â, teilten sie offenbar nicht, denn sie führten stets lange, dünne Schwerter, Dolche, Entermesser und natürlich Feuerwaffen mit sich. Diese verbargen sie genauso sorgfältig, wie die Otori ihnen verheimlichten, dass sie längst welche besaÃen. Man hatte Takeo als Kind gelehrt, es sei eine Sünde, Leben zu nehmen, ja sogar, sich zu verteidigen, und doch herrschte er jetzt über ein Land der Krieger, und die Legitimität seiner Herrschaft gründete auf Eroberungen durch Schlachten und Kontrolle durch Gewalt. Er wusste nicht mehr, wie viele Menschen er eigenhändig getötet hatte oder hatte hinrichten lassen. Nun herrschte Friede in den Drei Ländern und das schreckliche Gemetzel der Kriegsjahre war Vergangenheit. Takeo und Kaede hatten alle Mittel der Gewalt an sich gezogen, die zur Verteidigung oder zur Bestrafung von Verbrechern nötig waren. Sie zügelten die Krieger und boten Männern die Möglichkeit, Ehrgeiz und Aggression auszuleben. AuÃerdem unterstellten sich inzwischen viele Krieger der Führung Makotos, legten Bogen und Schwerter ab und schworen, nie wieder zu töten.
Eines Tages werde ich das auch tun , dachte Takeo. Aber jetzt noch nicht. Noch nicht.
Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder seinen Gastgebern zu und erlebte Zenko und Hana von ihrer vorteilhaftesten Seite, mit ihren Kindern. Er schwor sich insgeheim, die kommenden Probleme ohne BlutvergieÃen zu lösen.
KAPITEL 6
In den frühen Morgenstunden weckte ihn der hartnäckige Schmerz. Er rief die Dienerin, damit sie ihm einen Tee brachte, und die Wärme der Schale tat seiner verkrüppelten Hand für einen Moment gut. Es regnete noch und die Luft in der Residenz war stickig und feucht. An Schlaf war nicht zu denken. Er befahl der Dienerin, seinen Schreiber und den entsprechenden Beamten zu wecken und Lampen zu bringen, und als die Männer eintrafen, setzte er sich gemeinsam mit ihnen auf die Veranda und ging die Berichte über Shirakawa und Fujiwara durch, die hier im Zentrum von Verwaltungsbezirk und Hafen vorhanden waren, diskutierte Details und wies auf Unstimmigkeiten hin, bis es zu dämmern begann und die ersten Vögel im Garten ihr Lied anstimmten. Er hatte immer ein gutes, aufnahmefähiges und ausgesprochen visuelles Gedächtnis gehabt, und durch Ãbung war es im Laufe der Jahre fast unerschöpflich geworden. Seit dem Kampf mit Kotaro, bei dem er zwei Finger der rechten Hand verloren hatte, diktierte er viel den Schreibern, und auch dies hatte sein Gedächtnis gestärkt. AuÃerdem schätzte und achtete er Aufzeichnungen inzwischen genauso sehr wie sein Adoptivvater Shigeru, denn mit ihrer Hilfe konnte manalles festhalten und aufbewahren,
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