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Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels

Titel: Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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redete. Er sagte ihr nichts von seinen Absichten, vertraute sie auch sonst niemandem an, obwohl er von Zeit zu Zeit Ichiro dabei ertappte, wie er ihn neugierig musterte. Shigeru fragte sich, wie viel sein scharfsinniger alter Lehrer vermutete.
    Takeshi machte kein Geheimnis daraus, dass Shigerus Verhalten ihm rätselhaft und beschämend erschien. Der Spitzname Bauer verbreitete sich und Takeshi hasste ihn, geriet auch häufig deshalb in Raufereien – und musste sich immer wieder anhören, wie Shigeru oder er selbst beleidigt wurden. Er war in einem Alter, in dem die Aufgewühltheit, ein Mann zu werden, sein angeborenes Ungestüm verzehnfachte. Er liebte die Frauen, und obgleich es für ganz natürlich gehalten wurde, dass junge Männer seines Alters Freudenhäuser besuchten, zeigte Takeshi doch nichts von Shigerus Zurückhaltungoder Selbstbeherrschung. Im Gegenteil, es wurde geflüstert, dass er so lüstern werde wie sein Onkel Masahiro.
    Chiyo ließ Shigeru von diesen Gerüchten wissen und er redete ernsthaft mit Takeshi darüber. Das führte zu heftigen Szenen, die ihn überraschten und ärgerten. Er hatte geglaubt, sein Bruder werde ihm immer gehorchen und seinen Rat befolgen. Er versuchte Takeshi indirekt an seinen Entschluss zur Rache zu erinnern, doch er konnte keine konkreten Pläne anführen und Takeshi war ungeduldig und geringschätzig. Shigeru erkannte, in welchem Ausmaß Leid, Erniedrigung und Statusverlust Takeshis Loyalität untergraben und das Band zwischen ihnen gelockert hatten. Auf Shigerus Seite war das Band nicht schwächer geworden. Seine Liebe zu seinem Bruder und die Sorge um ihn waren stärker denn je. Doch sein Verständnis für Takeshis Situation durfte seiner Meinung nach nicht dazu führen, dass er ihn verwöhnte. Shigeru war willensstark, Takeshi starrköpfig. Die Auseinandersetzungen zwischen ihnen nahmen zu.
    Im neunten Monat peitschten heftige Regengüsse und Winde das Land, erste Taifune fegten von Süden über die Küste, doch als die Stürme sich legten, war der Herbst mit klarem, blauem Himmel und kühler, frischer Luft gekommen. Das Wetter war eine Einladung zum Reisen. Shigeru merkte, dass er sich danach sehnte, der beklemmenden Atmosphäre des Hauses ebenso zu entkommen wie der Beschränkung der Stadt und der Anstrengung seines Rollenspiels. Er hatte das Gefühl, er und Takeshi müssten eine Weile getrennt sein, fürchtete aber, den Jüngeren nur in der Obhut von Ichiro zurückzulassen.
    Takeshi würde im neuen Jahr volljährig, doch in Shigerus Augen war er unreif und hatte noch viel zu lernen. Shigeru verbrachte noch mehr Zeit mit ihm, er widmete dem Unterricht in klassischen Fächern und Kriegsstrategie ebenso lange Stunden im Studierzimmer wie dem Schwerttraining am Flussufer.
    An einem warmen Abend, als er mit seinem Bruder verabredet war, ließ Takeshi ihn warten. Mehrere junge Männer waren gekommen, um beim Training zuzuschauen, unter ihnen Miyoshi Kahei. Shigeru übte eine Weile mit Kahei, wobei er das Geschick und die Kraft des jungen Mannes bemerkte, und sein Unbehagen über Takeshis Verspätung wuchs. Schließlich kam Takeshi, entschuldigte sich nicht, beobachtete ausdruckslos den letzten Schlagabtausch mit Kahei und machte dann keine Anstalten, ihm die Stange abzunehmen.
    Â»Takeshi«, sagte Shigeru, »mach die Übungen zum Aufwärmen, dann trainieren wir eine Zeit lang.«
    Â»Ich glaube, du hast mich alles gelehrt, was du kannst«, sagte Takeshi, ohne sich von der Stelle zu rühren. »Ich habe versprochen, gleich jemanden zu treffen.«
    Â»Ich meine, du kannst immer noch etwas von mir lernen«, sagte Shigeru milde. »Und dein erstes Versprechen hat mir gegolten, deine erste Verpflichtung deinem Training.«
    Â»Wofür soll ich trainieren, wenn wir doch nicht kämpfen?«, rief Takeshi. »Warum lehrst du nicht Bauernsöhne, wie man mit der Hacke umgeht?«
    Shigeru merkte, wie Kahei sich zu beherrschen versuchte und die anderen jungen Männer nach dem ersten Schreck höchst interessiert seine Antwort erwarteten.Seine unmittelbare Reaktion war Wut darüber, dass Takeshi ihn öffentlich herausforderte. All die Ängste und Irritationen, denen sein Bruder ihn seit Monaten ausgesetzt hatte, stiegen an die Oberfläche. Er packte die Stange von Kahei und warf sie Takeshi zu. »Nimm und kämpfe oder ich schlage

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