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Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels

Titel: Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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Dorfbewohner mit großen Feuern ihren Toten den Weg nach Hause zeigten. Shigeru machte ebenfalls ein Feuer vor der Hütte, doch er erwartete nicht, seine Vorfahren zu sehen. Sie würden sein, wo ihre Gräber waren, in Hagi oder in Terayama. Noch nicht einmal die Toten würden sie hier besuchen.
    Er und Matsuda hatten tagelang kaum miteinander gesprochen. Kampf, Übung, Meditation und die täglichen Pflichten waren schweigend ausgeführt worden. Deshalb überraschte es Shigeru am zweiten Abend des Festes, dass Matsuda ihn anwies, die Lampe anzuzünden und frischen Tee zu machen, statt sofort nach dem Abendessen schlafen zu gehen.
    Â»Wir unterhalten uns eine Weile.«
    Sie gingen hinaus auf die schmale Veranda. Es war eine klare Nacht. Die Sternbilder von Bär und Jäger strahlten über ihren Köpfen. Shigeru holte frisches Wasser und zündete eine Öllampe mit einem Holzspan vom Feuer an. Er brachte seinem Lehrer den Tee, dann saß er mit gekreuzten Beinen auf dem Boden und wartete darauf zu hören, was Matsuda ihm mitteilen wollte.
    Â»Neulich hatten Sie viele Fragen«, sagte Matsuda. »Sie können sie jetzt stellen.«
    Â»Ich habe über die Toten nachgedacht. Werden sie sofort in neuer Gestalt wiedergeboren oder lebt ihr Geist weiter? Sie besuchen uns jedes Jahr zum Totenfest; wo sind sie in der Zwischenzeit? Sehen und hören uns unsere Vorfahren, wenn wir sie verehren?«
    Â»Wir verehren unsere Vorfahren, als würden sie noch leben«, antwortete Matsuda. »Und unser Verhalten gegenüber allen Lebewesen wird von Mitgefühl bestimmt, denn in ihnen könnten unsere eigenen Vorfahren wiedergeboren sein. Das Schicksal unserer vergangenen Leben beeinflusst unser gegenwärtiges Dasein, genau wie dieses Leben unsere Zukunft beeinflussen wird. Wir können dem Kreislauf von Geburt und Tod entfliehen, wenn wir die Lehren des Erleuchteten befolgen. Aber Sie sind auf einen anderen Weg gerufen worden, Sie werden das Haupt eines alten und mächtigen Clans sein. Die Sicherheit und das Wohlergehen von vielen werden in Ihren Händen liegen. Sie müssen in der Welt mit allen ihren Täuschungen und Gefahren leben.
    Es ist keine Kleinigkeit, als Otori geboren zu sein. Ihre Familie ist die berühmteste in den Drei Ländern, die Iida können von sich denken, was sie wollen. Ihr Stammbaum ist der älteste. In Ihnen fließt das Blut der kaiserlichen Familie. Die Stärken Ihrer Familie sind Mut, Mitgefühl, warme Empfindungen, Gerechtigkeitssinn. Ihre Schwächen sind Leichtsinn, Weichheit, Schwärmerei und Unentschiedenheit.«
    Â»Jede Schwäche ist der Schatten einer Stärke«, sagte Shigeru leise.
    Â»Ja, so ist es. Sie haben selbst erkannt, wie der Gerechtigkeitssinn Ihres Vaters ihn zu oft zu Unentschiedenheit verleitet. Er sieht den Standpunkt eines jeden und will allen gerecht werden. Möglicherweise ist ihm zu wichtig, was die Menschen von ihm denken. Ihm liegt viel an der guten Meinung seiner Brüder – dafür verachten sie ihn.«
    Â»Sind sie auch Verräter?«
    Â»Ich glaube, das wären sie, wenn sie mutiger wären.«
    Â»Wie können wir das Mittlere Land schützen, wenn die Tohan einen Krieg vorbereiten?«
    Â»Durch den Sieg über die Tohan. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Ihr Vater will nicht kämpfen. Ihre Onkel sind dafür, den Frieden durch Zugeständnisse zu erkaufen.«
    Â»Welche Art von Zugeständnissen?«
    Â»Zum Beispiel Land abgeben.«
    Â»Teile des Mittleren Landes den Tohan überlassen? Das ist undenkbar.«
    Â»Viele denken schon darüber nach. Es liegt an Ihnen, sie davon abzubringen.«
    Â»Ich muss sofort nach Hagi zurück.«
    Matsuda schmunzelte. »Erst einmal müssen Sie Geduld lernen.«
    Shigeru holte tief Luft. Sein Zorn war während des Gesprächs neu entflammt. Untreue und Verrat waren für ihn die größten Verbrechen, und der Verdacht, dass sie in seiner eigenen Familie gediehen, ließ ihn schäumen vor Wut. Zögernd stimmte er zu. »Wenn Sie mir das raten, werde ich es tun.«
    Â»Bleiben Sie wie geplant den Winter über. Wenn Sie zurückgehen, werden Sie sechzehn sein, die Zeremonie zu Ehren Ihrer Volljährigkeit steht bevor und Sie werden erwachsen sein. Dann haben Sie mehr Einfluss auf die Ältesten und Ihren Vater.«
    Â»Ist den Ältesten zu trauen?«
    Â»Irie, Mori,

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