Der Clan der Wildkatzen
einige Augenblicke brauchte, bis sie sich neu eingestellt hatte. Die Kolonie der würdevollen Katzen am Gericht war unangenehm überrascht, als sie vorbeischoss.
» Hast du eine orangene Katze vorbeiziehen gesehen? Und zwar, wenn ich das so bemerken darf, unerhört schnell?«, fragte Affit, ein pummeliger schwarzer Kater.
Sein Kollege Davit dachte über die Frage nach. » Das Problem«, sagte er dann, » liegt darin, dass deine Frage die eindeutigen Fakten ignoriert. Erwähnte Katze ist ein Kätzchen und es scheint sich mit großer Geschwindigkeit durch die Luft zu bewegen. Wie der gebildete Teil deiner Person sicherlich einräumen wird, ist es unwahrscheinlich, dass eine Katze als Katze, oder ein Kätzchen als Kätzchen, durch die Luft schweben kann. Daher schließt der gebildete Teil meiner Person darauf, dass dieses Kätzchen als Kätzchen ein hypothetisches Kätzchen ist.«
Affit hob eine Pfote. » Einverstanden. Solange es keinen ausreichenden Beweis gibt, der in dreifacher Ausführung im Standesamt der Großfüße und zwar vor der heutigen Teezeit vorliegt, sollten wir daher von der Annahme ausgehen, dass es keine derartige Katze und kein derartiges Kätzchen gibt.«
» Sehr wohl«, meinte Davit und setzte seinen gebieterischen Gang über den Rasen des Obergerichtshofes fort. » Obwohl meine Ohren gezuckt haben, als das Kätzchen vorbeigezogen ist– viel zu nahe für ein hypothetisches Kätzchen, Affit, verflucht noch mal viel zu nahe.«
Mara bekam es mit weiteren Schwierigkeiten zu tun, als sie über dem Zoo schwebte. Anstatt einfach blind hineinzustürzen wie beim ersten Mal, wollte sie ein besseres Gefühl für dieses neue Revier bekommen. Also bewegte sie sich vorsichtig hinein und wurde sofort von einem überwältigenden Durcheinander an Geräuschen und Gerüchen begrüßt.
Das Kätzchen schimmerte und flimmerte verwirrt. Zu Hause auf dem Bücherregal musste Mara sich festhalten, um nicht nach unten zu stürzen, und sie legte sich sicherheitshalber an die hintere Kante. Im Zoo wirbelten beinahe zu viele Düfte und zu viel Leben durcheinander. Die Bilder und Eindrücke ließen ihren winzigen Kopf schwirren, bis ihr schwindelig wurde.
Die Zebras flüsterten ihr ins Ohr und sangen lange Gedichte über die Berge und Ebenen von Afrika. Die Bären knurrten, während sie an die Früchte dachten, die sie so sehr vermissten, die Aprikosen und Pfirsiche im Himalaya. Die Orang-Utans kratzten sich die Bäuche und Schwänze und träumten von ihrer Heimat in den hohen Dschungelbäumen von Borneo.
Und mitten in diesem Durcheinander aus Gebrüll und Zwitschern und Geschnatter und Miauen hörte Mara eine klare Stimme. » Ich weiß, dass du einen Schwanz hast, Tantara, und ich habe ja auch einen, doch ich habe es immer und immer wieder versucht, und ich kann mich einfach nicht so an die Stangen hängen wie du.«
Mara holte tief Luft und sauste schnellstens über die Käfige mit den Vögeln hinweg, vorbei an den Hirschen und den unheimlichen Schlangen, die sich auf den Felsen ihres Geheges in der Sonne aalten, über die Antilopen, Schuppentiere und Leoparden hinweg, die eine Familie von Großfüßen anstarrten, welche lautstark kreischend Popcorn anboten.
Beinahe wäre sie ins Tigergehege geschlittert, doch im letzten Augenblick erinnerte sie sich an das riesige Gesicht von Ozymandias und an seine gewaltigen Schnurrhaare– und an die langen, spitzen Zähne. Sie wurde langsamer und spähte zunächst vorsichtig hinein.
Rani und Ozzy waren nirgendwo zu sehen, doch den Geruchsmarken nach, die sie hinterlassen hatten und die in Maras Kopf wie Blinklichter aufleuchteten, schliefen die beiden großen Katzen in der Höhle im hinteren Teil des Geheges. Mara sah sich weiter um. Nur an manchen Stellen war das Gras grün, und nahe dem künstlichen Bach, der durch das Reich der Tiger floss, saß Rudra auf dem Gras und sprach mit der leeren Luft.
Oben auf ihrem Bücherregal fuchtelte Mara mit den Pfoten und miaute glücklich. » Hallo, Rudra DerGroßeUndMächtige… tut mir leid, den Rest habe ich vergessen. Wie geht es dir? Warum redest du mit dir selbst?«
Das Tigerjunge hob den Schwanz und brüllte freudig. » Ach, Nurmara, oder? Ich habe mich schon gefragt, wohin du verschwunden bist. Würdest du gern jemanden kennenlernen…« Er hielt kurz inne. » Tantara, hör sofort damit auf!«
Der Langur hatte sich von hinten leise an Mara angeschlichen und starrte sie aus den Ästen eines großen Baumes an. Das Kätzchen hatte
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