Der Clan der Wildkatzen
Großfüße.
Southpaws Schwanz, den er bisher traurig über den Boden gezogen hatte, ging eine Winzigkeit in die Höhe. Das leere Grundstück lag am Rand eines weiten Buschlands zwischen Nizamuddin und der nächsten Siedlung. Es war eine Art Katzenniemandsland, so wild wie das Gebiet um das Verrammelte Haus, jedoch nicht so bedrohlich. Das eigentliche Ödland lag jenseits davon, wo Wandelröschen und Akazien ein dorniges Dickicht bildeten und wo die peitschenden Zweige ungeschnittenen Nachtjasmins sich um ein Großfußgebäude rankten.
Der kleine Kater war erst einmal hier gewesen, und auch nur ganz kurz, als er Katar heimlich gefolgt war, der auf der Suche nach Beute durch das hohe Gras geschlichen war. Dies war die Außengrenze des Reviers der Katzen von Nizamuddin, dahinter würden sie das Gebiet der Kanalschweine betreten.
Sie zogen durch hohe Büsche von Wildem Zuckerrohr, dessen purpurfarbene Wedel sich im Dämmerlicht in nickende Schatten verwandelten, die weit über ihren Köpfen winkten. Miao blieb plötzlich stehen und suchte Deckung hinter einem Haufen Sägespäne, Papier, Plastiktüten und anderem Müll von Großfüßen. Sie gab Southpaw ein Zeichen, er solle lauschen, und an dem Wackeln der feinen Haare in ihren Ohren erkannte er, dass sie etwas Aufregendes hörte.
Er konzentrierte sich, doch alles was er wahrnahm, waren die gewöhnlichen Nachtgeräusche. In der Ferne hupten Autos auf der Straße, die Grillen zirpten fröhlich und gelegentlich raschelte etwas im trockenen Gras. Über ihnen schrien hin und wieder ein paar Eulen und ihre leisen ernsten Rufe hallten durch die Nacht.
Miao war angespannt, und die Muskeln an ihren Flanken zeichneten sich ab, während sie mit zitternden Schnurrhaaren auf etwas im langen Gras zeigte. Genauso plötzlich wie sie stehen geblieben war, entspannte sie sich wieder. In der nächsten Sekunde huschte eine Eidechse vorbei und wich reflexartig beiden Katzen aus. Southpaw war schon halb in Bewegung und wollte ihr auf den Schwanz springen, doch ein scharfes Zucken von Miaos Schnurrhaaren hielt ihn zurück.
So verharrten sie eine ganze Weile, und langsam spürte Southpaw, wie er ruhiger wurde und seine Sinne in alle Richtungen ausschweifen ließ. Er hatte einen Haufen Fragen, die er Miao am liebsten gestellt hätte, doch sie hatte ihm ja verboten, sich mit ihr über die Schnurrhaare zu verständigen.
Miao strahlte eine tiefe Stille aus, während sie warteten. Im langen Gras war sie beinahe unsichtbar. Eine Motte ließ sich auf ihrem Kopf nieder und flatterte alarmiert davon, als die ältere Katze mit einem Schnurrhaar zuckte.
In Southpaws Kopf bildete sich eine grobe Karte der Umgebung. Es waren viele Ratten hier oder zumindest hier gewesen. Er spürte ihre Wege und war erschrocken, wie ordentlich und weit verzweigt ihr Straßennetz sich erstreckte. Viele der Wege führten zum hinteren Teil des Müllhaufens, und als er die Augen schloss und einatmete, glaubte er, alten Kot riechen zu können. Einige Löcher rochen anders und befanden sich ein Stück von den Rattenwegen entfernt. Die Markierungen dort wirkten eher ölig.
Der Geruch war gleichermaßen vertraut und fremdartig. Es dauerte einige Augenblicke, ehe der kleine Kater ihn einordnen konnte. Doch seine Augen hatten sich bereits an die Nacht gewöhnt, und als er nun genau hinsah, konnte er die Löcher deutlicher erkennen. Sie waren fast wie Schnauzen geformt, und der Geruch– jetzt hatte er es! Das waren Bandikutratten. Und da war noch etwas, das der kleine Kater nicht genau einzuordnen wusste: ein düsterer Geruch, kräftig, aber nicht böse, der zur Warnung Trommelschläge in die Luft schickte.
Miao warnte ihn mit einem leisen Schniefen, und dann duckte sich die ältere Katze mit dem Bauch dicht am Boden, wackelte mit dem Hinterteil, fuhr die Krallen aus und stellte die Ohren auf. Southpaw merkte, dass seine Zähne so wie ihre vor Aufregung klapperten, und er ließ sich ebenfalls nieder– gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie eine Buschratte mit angsterfülltem Ausdruck in den winzigen schwarzen Augen vorbeihuschte.
Miaos Pfoten bewegten sich so schnell, dass Southpaw ihnen nicht folgen konnte. Und auch die glücklose Ratte konnte es nicht, deren Körper in die Luft flog und dann hart aufschlug. Southpaw vergaß seine Manieren und, angetrieben vom Drang, seine Zähne ins Fleisch zu graben, sprang er auf die Ratte zu.
Miao fauchte und versetzte ihm einen Hieb auf die empfindliche Nase.
» Das darfst du
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