Der Clan der Wildkatzen
es waren einfach so unglaublich viele.
» Neferkitty«, sagte ich nach einer Weile. » Sollen wir angreifen wie geplant oder besteht keine Hoffnung?«
» Darüber denke ich auch gerade nach«, antwortete sie. Ihr schwarzes Fell war an mehreren Stellen aufgerissen und blutete immer noch. » Es scheint aussichtslos zu sein, oder? Vielleicht sollten stattdessen wir das Feld räumen.«
Daran hatte ich auch schon gedacht, doch die Vorstellung, Nizamuddin zu verlassen und dem Niembaum, den Flammenbäumen und den Dächern, auf denen wir als Kätzchen Fangen gespielt hatten, den Rücken zu kehren … war einfach zu viel.
Und wie sollten wir überhaupt mit dem gesamten Clan umziehen? Wohin sollten wir gehen? Die Krähen konnten fliegen, sich die Gegend von oben anschauen und sich Bäume suchen; ein Katzenkundschafter würde viele Monde brauchen, bis er ein geeignetes Gebiet gefunden hätte.
Wo würden wir einen Platz finden, der für uns alle reichen würde, an dem keine anderen Katzenrudel lebten, an dem es nicht zu viele Raubtiere gab und der außerdem noch in der Nähe von Nizamuddin war?
Und selbst, wenn es uns gelänge … Im riesigen gemeinsamen Gedächtnis der Katzenclans von Delhi gab es nicht den geringsten Pfotenzeig, der auf eine gelungene Auswanderung hindeutete. Katzen waren keine Vögel. Wir lebten stets im gleichen Revier wie unsere Mütter und Väter, und mehr gab es dazu nicht zu sagen. Das erklärte ich auch Neferkitty.
» Es klingt verrückt, ich weiß«, sagte sie. » Aber Miao, so können wir nicht mehr lange weitermachen. Mit den Krähen hier werden wir diesen Winter verhungern. Wir sind alle schon geschwächt, und wer weiß, ob wir dann noch in der Lage sind, unseren nächsten Wurf zu beschützen? Wir dürfen auch das Undenkbare nicht ausschließen.«
Wir hätten uns sicherlich noch weiter unterhalten, doch plötzlich hörte man ein gewaltiges Flattern, und dann schrie eins unserer kleinen Kätzchen schrill und mitleiderregend auf. Das Krächzen schwoll immer weiter an, bis es ohrenbetäubend wurde. Nizamuddin wurde angegriffen.
Das musst du dir einmal vorstellen, Tooth: Wir alle, Katzen und Hunde, Eichhörnchen und Mäuse, Tauben, Mainas – alle waren in heillosem Durcheinander verstreut, während große schwarze Wolken aus Krähen auf uns niedergingen. Dieser Lärm! Das Rascheln der Flügel, das immer lauter werdende Krächzen – es war ohrenbetäubend und verwirrend. Manche der kleineren Tiere liefen einfach hin und her und machten sich so zu guten Zielen, die armen Dinger. Die Eichhörnchen sprangen über die Äste und wurden von den Krähen heruntergepickt, die Mäuse drehten sich verzweifelt im Kreis. Es war schrecklich.
Die erste Stunde war am schlimmsten. Neferkitty zog natürlich hinaus und gab zusammen mit den Kampfkatern ihr Bestes. Die Hunde halfen, aber bald wurden wir von Krähenschwärmen bombardiert. Was uns rettete, war die Tatsache, dass die Krähen keine richtigen Kämpfer waren. Sie stammten aus verschiedenen Familien, wo auch immer die herkamen, und wahrscheinlich hatten sie keine ernsthafte Gegenwehr erwartet. Zwar waren sie eine furchterregende Bande, aber sie griffen nicht in Formation an – jede einzelne Gruppe flog los, wann immer sie es für richtig hielt, und so stießen sie in der Luft und am Boden zusammen. Sie krächzten und pickten nacheinander, wenn sie sich ärgerten, was vielen von uns das Leben rettete. Bakbuk wurde so wütend auf seine Krieger, weil die vor ihm angriffen, dass er nach einigen von ihnen schnappte und sie sich aufgrund der schweren Verletzung zurückziehen mussten.
Trotzdem waren sie uns zahlenmäßig weit überlegen. Auch wenn sie schlecht kämpften, wurde jede verletzte Krähe sofort durch zehn andere ersetzt, und sie zogen sich mit ihren schwarzen Schwingen wie eine Decke über das Gras. Neferkitty behielt einen kühlen Kopf. Sie war in die Bäume geklettert und bewegte sich rasch von Ast zu Ast, vom Niembaum zum Flammenbaum und weiter zur Röhrenkassie. Sie griff von hinten an, attackierte die Anführer immer dann, wenn sie gerade abheben wollten, zog sich wieder ins Laub zurück, wenn die Krähen sich gegen sie wandten. Die Hundewelpen waren bei uns, die Streuner von Nizamuddin, und bellten sich die Seele aus dem Leib, sprangen mitten ins dickste Gewühl und ließen die Krähen nicht landen.
Neferkitty blutete heftig. Einige der Wunden vom Morgen waren wieder aufgegangen. Aber die Eulen waren erwacht und scharten sich um sie. Sie
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