Der Clan der Wölfe 2: Schattenkrieger (German Edition)
Augenblick jagten sie die Herde durch ein Gebiet, das Yellow Springs oder Gelbquellen genannt wurde. Gerade war ein Signal durch den Byrrgis gelaufen, dass sie mit dem Zangenmanöver beginnen sollten. Die Herde musste leicht gewendet und dann getrennt werden. Es war ein riskantes Manöver. Aber bei einer so großen Herde blieb ihnen keine andere Wahl. Nur so konnten sie die schwachen Tiere ausmachen, die so lange wie möglich in der Mitte der Herde blieben. Faolan sah Stellana dicht bei Mairie. Die Wölfin übermittelte ein paar Signale und innerhalb von Sekunden hatte Mairie ein Cailleach entdeckt. Jetzt war Faolan an der Reihe. Er musste näher kommen, um jeden Urin- oder Kotgeruch aufzunehmen, der ihm nicht gesund erschien.
Was für eine elende Arbeit , dachte er und schaute neidvoll zu, wie Mairie zu dem Cailleach vorpreschte. Dann bremste die Außenflankerin ihr Tempo zu einem lockeren Lauf herab, als hätte sie das Interesse verloren. Die Rothirsche würden jetzt ebenfalls langsamer werden, aber Mairie würde nur zu bald mit Stellana und einer anderen Außenflankerin zurückkommen.
Faolan hatte dieselbe Jagdstrategie angewandt, als er im Vorjahr ein Rentier zur Strecke gebracht hatte. Nur hatte es keine Signale gegeben, die zwischen den Jägern hin- und hergingen, und keine Außenflankerinnen, die ihm halfen, das Tier in die Zange zu nehmen. Er hatte alles allein gemacht.
Die Endphase der Jagd begann. Sie hatten das alte Cailleach , eine Hirschkuh, umzingelt. Verwirrt stand sie da und starrte auf die Blutfontänen, die aus den Wunden in ihren Flanken schossen. Die Verletzungen reichten aus, um die Hirschkuh aufzuhalten, aber nicht, um sie zu töten. Dazu mussten sie an ihren Hals herankommen und die lebenswichtige Schlagader durchtrennen. Mairie und die anderen Außenflankerinnen ließen sich zurückfallen. Ihre Arbeit war getan. Ein paar von den großen Rüden umzingelten jetzt die Beute und griffen sie abwechselnd an. Aber die Hirschkuh bäumte sich auf und traf einen von ihnen mit den Hufen.
„Die hat Nerven!“, murrte Heep.
„Ja, unfassbar!“, stimmte der Pfeifer mit der verknoteten Kehle zu und es klang wie ein hohles Ächzen.
Der Pfeifer sprach Faolan aus dem Herzen. Woher nahm dieses alte Weibchen den Kampfgeist, sich aufzubäumen und mit den Hufen nach ihren Angreifern – vier riesigen Wölfen – zu schlagen?
„Das Cailleach hat einen kühnen Geist“, fuhr der Pfeifer fort.
„Möge ihr Geist bald den Körper verlassen, damit unsere großartigen Oberhäupter nicht allzu sehr ermüden“, schleimte Heep lautstark.
Der Pfeifer warf ihm einen verächtlichen Blick zu. „Ach, halt den Mund und steck deine Nase in Moschusochsenkacke.“
Faolan wollte schon loslachen, aber das Lachen blieb ihm in der Kehle stecken, als Heep vor dem Pfeifer in die Knie sank.
„Oh, mein lieber Pfeifer, ich bitte dich untertänigst um Verzeihung.“ Heeps spitze Nüstern zogen sich angstvoll zusammen, während er eine Gesichtshälfte im Dreck wälzte. „Niemals würde ich mir erlauben, mich über dieses großartige, würdige Tier zu erheben, das stirbt, um unsere verehrten Oberhäupter am Leben zu erhalten. Falls mir eine Respektlosigkeit unterlaufen sein sollte, so bitte ich in aller Demut um Vergebung. Denn nur dank des nahrhaften Fleisches dieser edlen Hirschkuh werden unsere Anführer, unsere heldenhaften Oberhäupter, und unser ruhmreiches Rudel gedeihen.“
Aber der Pfeifer trottete bereits davon, um sich einen besseren Blick auf das bevorstehende Ende der tapferen Rothirschkuh zu verschaffen.
Faolan hatte fassungslos zugehört, wie Heep sich vor dem Pfeifer erniedrigte. Nicht nur das abstoßende Kriechertum des gelben Wolfs sträubte ihm das Fell. Er spürte auch etwas zutiefst Falsches darin. Heep bereute seine Respektlosigkeit nicht, das stand fest. Dieser Wolf war auf eine heimtückische Art verletzend, denn die Kränkung, für die er sich entschuldigte, kam als Unterwürfigkeit getarnt zur Hintertür wieder herein. Wie eine Verhöhnung des Lochinvyrr erschien es Faolan. Beim Lochinvyrr wurde nie gesprochen. Der Dank musste einfach und schweigend erfolgen, mit tiefer Empfindung, um den Wert des geopferten Lebens nicht zu schmälern.
Faolan wandte sich ab und ging zu den Jägern, die das Cailleach umzingelten. Alle waren jetzt verstummt. Kein Bellen oder fröhliches Japsen war zu hören. Tiefe, respektvolle Stille breitete sich aus. Der Hauptmann war in einer Haltung vollkommener Unterwerfung
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