Der Clan der Wölfe 2: Schattenkrieger (German Edition)
trotz ihrer bedauernswerten Erscheinung.
„Ja, Faolans Zeichnung ist die schönste, die ich je gesehen habe.“ Der Pfeifer hatte sich über Faolan gebeugt, um den Knochen zu betrachten. Seine mühsam hervorgekeuchten Worte streiften Faolans Schultern wie ein Windzug. „Edme hat Recht. Was macht es für einen Unterschied, wie man das Sternbild nennt?“
„Das fragst du noch? Es ist eine Verhöhnung des Großen Lupus“, murrte Heep.
„Jetzt übertreibst du aber“, sagte Creakle.
„Das ist deine Meinung, Creakle. Für andere ist es eine Entweihung, dem Großen Wolf den Namen eines anderen Tieres zu geben.“
„Ach wirklich?“, ächzte der Pfeifer. Seine Stimme klang wie das Rattern von kahlen Ästen im Wind.
Faolan wusste, dass seine Schnitzarbeiten für Aufsehen sorgten, besonders seit er den Knochen der Zerknirschung genagt hatte. Die Eleganz und Schönheit seiner Arbeiten hatte zu Gemurre und Gemunkel unter einigen besonders abergläubischen Wölfen geführt. Dieser Faolan kommt aus der Dunkelwelt , hieß es hinter vorgehaltener Pfote. Vielleicht ist er auch der Nachkomme eines Clanlosen! Die Rudelwölfe behielten ihn scharf im Auge und das machte ihn nervös. Wenn Heep über das Sternbild redete, das Faolan gerade geschnitzt hatte, und im Clan verbreitete, dass er den Großen Lupus entweiht hätte, würde es Ärger geben. Aber sollte er deshalb seine Zeichnung ändern, nur damit sie mehr nach einem Wolf aussah? Das erschien ihm unaufrichtig und wie ein Verrat an Donnerherz. Er wollte doch nur zeigen, wie Bären den Nachthimmel sahen. Den Blickwinkel der Bären darstellen. Oder durfte das ganze Universum nur mit den Augen der Wölfe betrachtet werden?
Edme hielt in ihrer Arbeit inne. „Komisch, mir fällt gerade ein, dass Wölfe und Pumas das Wort Schrappe verwenden, obwohl die Bedeutung ganz unterschiedlich ist.“
Das nervtötende Klicken neben Faolan verstummte. Heep ließ seinen Knochen fallen. Dann wand er sich nach allen Regeln der Kunst am Boden. Wie immer, wenn er eine seiner Unterwürfigkeitsreden vom Stapel ließ. „Ich weiß nur zu gut, dass ich der bescheidenste und nichtswürdigste von allen Knochennagern bin, die hier versammelt sind. Und vielleicht steht es mir in meiner niedrigen Stellung nicht zu, etwas Derartiges zu sagen. Aber ich finde, die geschätzte Knochennagerin des MacHeath-Clans geht zu weit mit ihren Äußerungen.“
Faolans Nackenfell sträubte sich. Heep verstand es meisterhaft, die schlimmsten Kränkungen in kriecherische Worte zu verpacken. Die arme Edme wusste genau, wie sehr sie verachtet wurde. Sie galt als die niedrigste aller Knochennager in den Hinterlanden, weil der verkommene Clan, aus dem sie stammte, kaum eine Schnurrhaaresbreite über den Clanlosen stand. Heeps Worte brannten wie Salz in ihren Wunden.
„Nach meiner bescheidenen Meinung ist es eine Herabsetzung unserer edlen Anführer, Vergleiche zwischen Wölfen und Pumas zu ziehen. Allein der Gedanke ist eine Entweihung.“ Damit stand Heep auf, ging zu Edme hinüber und versetzte ihr einen scharfen Biss ins Ohr.
„Autsch!“, schrie Edme. Ein Blutgerinnsel lief ihr am Hals hinunter.
Alle saßen da wie vom Donner gerührt. Dann stürzte Tearlach an Edmes Seite. Die anderen Wölfe sprangen ebenfalls auf. Mit gesträubtem Nackenfell standen sie da.
„Alles in Ordnung, Edme?“, fragte Tearlach.
„Ist schon gut. Es war nicht tief. Wirklich, es ist in Ordnung.“ Doch jeder konnte sehen, dass das nicht stimmte.
Edmes Gesicht war ganz eingefallen. Ihre Schnauze zitterte und dicke Tränen tropften aus ihren Augen. Fassungslos schaute sie Heep an. „Warum? Warum machst du so was?“
„Ich musste dir eine Lektion erteilen. Deine Worte waren eine Beleidigung für unsere Art.“
„Ich … ich …“, stammelte Edme.
Sie wird sich doch nicht entschuldigen! , dachte Faolan entsetzt. Das ertrage ich nicht. Von dem gelben Wolf hatte er für heute genug. Er wusste genau, warum Heep so aufgebracht war. Nicht wegen Edme selbst, sondern weil sie vorher die Aufmerksamkeit auf Faolans Schnitzarbeit gelenkt hatte. Das wollte Heep ihr heimzahlen. Faolan ging direkt auf ihn zu und baute sich so herausfordernd vor ihm auf, wie er nur konnte. Als Knochennager hatte er nur wenig Übung in den wichtigsten Drohgebärden und Dominanzsignalen. Auch die anderen Knochennager ließen jetzt ihre Knochen fallen, als sie Faolan so dastehen sahen – mit gerade ausgestrecktem Schwanz, den Kopf hoch erhoben, die Ohren
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