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Der Club der Gerechten

Der Club der Gerechten

Titel: Der Club der Gerechten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
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geblieben wäre ...
    Wenn sie den Toten nur nicht gesehen hätte.
    Selbst jetzt, als sie halb wach in der abendlichen Dunkelheit lag, sah sie das schreckliche Bild des zerstörten Körpers im Leichenschauhaus vor sich; des Körpers, der kaum noch als menschlich zu erkennen gewesen war. Das verkohlte Fleisch, das entstellte Gesicht, die ...
    Die Stelle, an der Jeffs Tattoo gewesen war.
    Wie oft hatte sie die winzige Sonne mit der Fingerspitze nachgezogen?
    »Es war nicht da«, hatte Keith gesagt. »Ich sage Ihnen, heute Morgen war dieser Teil seines Körfers nicht verbrannt, und das Tattoo war nicht da.«
    Kam sie deshalb nicht darüber hinweg, war sie deshalb nicht imstande zu glauben, dass Jeff wirklich tot war? Müsste sie nicht eine große Öde in sich spüren, eine schreckliche Leere da, wo Jeffs Liebe sie immer ausgefüllt hatte? Doch sie fühlte diese Leere nicht. Stattdessen fühlte sie, was sie seit Jeffs Verhaftung immer gefühlt hatte: dass alles ein schrecklicher Irrtum war, ein Albtraum, in dem sie alle gefangen waren und aus dem sie bald aufwachen würden.
    Es würde wieder Herbst sein, Jeff würde in ihrem kleinen Lieblingsrestaurant auf sie warten, und ...
    »Hör auf damit!« Die Worte explodierten förmlich aus Heathers Kehle, ein qualvoller Schrei. Sie umarmte sich selbst, um sich gegen die Kälte in ihrem Innern zu wappnen, trat rastlos wieder an das Fenster ihres Schlafzimmers und starrte in das Dunkel. Es war erst acht Uhr abends, warum war sie dann so erschöpft, als sei es drei Uhr morgens?
    Es klopfte an der Tür des kleinen Wohnzimmers neben ihrem Schlafzimmer, und gleich darauf kam ihr Vater herein. »Wir wollen zum Essen ins Le Cirque. Hast du Lust mitzukommen?«
    Le Cirque. Le Cirque? Wie konnte sie daran denken, ins Le Cirque oder sonst wohin zu gehen, wenn sie doch nur bei Jeff sein wollte ...
    »Wie, wenn es ein Irrtum war?«, hörte sie sich fragen.
    Der Vater schien über die Frage erstaunt, doch dann schüttelte er den Kopf. Er ging auf sie zu, streckte die Arme aus, als wolle er sie umarmen, doch als sie vor seiner Berührung zurück schrak, ließ er die Hände sinken. »Ich weiß, es ist schwer für dich«, sagte er. »Aber glaub mir, du wirst darüber hinwegkommen. In ein paar Monaten...«
    »In ein paar Monaten wird es mir genauso schlecht gehen wie jetzt, Daddy«, sagte sie, fügte, als sie den schmerzlichen Ausdruck in seinen Augen sah, jedoch sanfter hinzu: »Vielleicht fühle ich mich dann besser, ja. Aber nicht jetzt. Warum geht ihr nicht einfach ohne mich zum Essen, Carolyn und du? Ich würde ja doch keinen Bissen hinunterbringen, auch wenn ich mitginge.«
    Er zögerte, küsste sie dann auf die Stirn. »Dann sehen wir uns später. Wenn du doch Hunger kriegen solltest, Dessie hat ein bisschen pochierten Lachs in den Kühlschrank getan. Versuch wenigstens eine Kleinigkeit zu essen.« Er drückte ihr tröstend die Schulter und ging.
    Allein zu Hause zu sein war für Heather noch schlimmer, das fand sie bald heraus. Es war, als schlossen die Wände der Wohnung sie ein, kämen immer näher, erstickten sie. Kurz darauf ging sie auch, verließ das Haus, lief die Fifth Avenue hinunter nach ...
    Wohin?
    Sie wusste es nicht.
    »Wir werden es wissen, wenn wir da sind.«
    Es war Jeffs flüsternde Stimme, die sie im Geist hörte. Das hatte er immer gesagt, wenn er an einem Sonntagnachmittag vorschlug, einen ziellosen Streifzug durch die City zu unternehmen. »Aber wohin gehen wir?«, hatte Heather immer gefragt. In ihrem perfekt geordneten Leben hatte sie stets genau gewusst, wohin sie ging und warum sie es tat. »Das Leben sollte nicht voller Überraschungen sein«, hatte ihr Vater ständig gepredigt. »Man sollte immer auf Unvorhergesehenes vorbereitet sein, aber danach zu streben, ist vergeudete Zeit.« Jeff hingegen hatte Unvorhergesehenes begeistert, er wollte immer erforschen, was er nicht kannte, sei es ein Gebäude, ein Block oder ein ganzes Stadtviertel. Wenn sie ihn fragte, wohin er gehe und warum, lachte er nur und zuckte mit den Schultern. »Woher soll ich das wissen? Wir werden es wissen, wenn wir da sind.« Und jetzt sagte er es wieder, wenn auch nur in ihrer Erinnerung.
    Obwohl sie noch immer nicht wusste, wohin sie wollte, fühlte Heather sich ein bisschen besser.
    Er wird es mir zeigen, sagte sie sich. Er wird mir zeigen, wohin ich gehen soll, so wie er es immer getan hat

16. Kapitel
    Jeff beobachtete das weit entfernt schwach glimmende Licht, und die Hoffnung wallte

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