Der Club der Teufelinnen
Hudson River lag Morty auf seiner Pritsche und fragte sich das gleiche.
Seit zwei Wochen fragte er sich das mittlerweile. Bei seiner Ankunft hatte sich die Schlange der Gefangenen, die gerade erfaßt wurden, nur sehr langsam vorwärtsgeschoben. Stundenlang hatte das gedauert. Behördengrau war allgegenwärtig, Wände, Decken, Tische, Wärter, Hemden. Er war angewiesen worden, den farbigen Pfeilen auf dem Fußboden zu folgen. Seiner war braun gewesen. An die neuen Gefangenen waren Trainingsanzüge in Farben ihrer Wahl ausgegeben worden: grau, braun oder blau. Warum er blau gewählt hatte, konnte er nicht sagen.
In dieser blauen Uniform lag er jetzt auf seiner Pritsche und wartete. Wieder verfluchte er Leo Gilman, daß er ihn nicht gegen Kaution hier herausholte. »Das werde ich, Morty, aber so etwas braucht seine Zeit«, hatte der gesagt. »Ich muß die überzeugen, daß Sie nicht vorhaben, sich ins Ausland abzusetzen. Es war verdammt unklug, so viel Kapital ins Ausland zu bringen. Was Wunder, wenn man glaubt, daß Sie sich davonmachen wollen. Und wenn Sie das täten, sähe es wirklich übel aus.« Morty konnte einfach nicht glauben, daß man ihn nicht gegen Kaution herauslassen wollte. Nach zwei Wochen Gefängnis schien ihm jedoch eine Auslandsreise zunehmend attraktiver. Überall sonst war es zur Zeit besser als hier.
Als er damals eingeliefert wurde, hatte er nach einem Kumpel Ausschau gehalten. Der Typ vor ihm in der Schlange schien völlig unbekümmert. Morty hatte ihn sehr nett gefunden, bis er erfuhr, daß der seine Exfreundin zusammen mit ihrem neuen Freund in der Bronx entführt, beide in New Jersey umgebracht und in Maryland aus seinem Lieferwagen geworfen hatte. Und der Typ hinter ihm hatte versucht, am Kennedy-Flughafen mit einer Bombe ein Flugzeug zu entführen. Er war froh gewesen, als ihnen die Wärter untersagten, weiter miteinander zu sprechen. Typen wie die bekamen besser gar nicht mit, daß er wegen Steuerhinterziehung einsaß. Damit konnte er sich bei denen keinen großen Respekt verschaffen.
Als er zur Leibesvisitation an der Reihe gewesen war, hatte ihn der Wärter gefragt, ob er Zahnprothesen trage. Auf seine Verneinung hatte der andere mit falschem Mitleid die Achseln gezuckt. Was hatte das zu bedeuten? War das so eine Art interne Geheimsprache?
Schließlich hatte man sie endlose Gänge entlanggeführt. In der Abteilung angelangt, die vorübergehend sein neues Zuhause werden würde, hatten die anderen Gefangenen in den Zellen links und rechts sich unter den Neuzugängen ihre künftigen Lieblinge ausgesucht.
»Ja, wen haben wir denn hier? He, Zuckerbubi, du da mit dem Pfirsichhintern. Du bist meiner. Vergiß nicht, du gehörst Al, wenn jemand fragt. Al wird sich um dich kümmern. Du kümmerst dich um mich und ich mich um dich. Denk dran, Zuckerbubi, denn ich vergeß dich nicht!«
»He, du leckere weiße Fettsau, hast du deine Zähne rausgenommen? Ich hab was vor mit dir. Wenn du 'ne Prothese trägst, kann ich Tag und Nacht was mit dir anfangen.«
Du lieber Gott, das war es also, was der Angestellte gemeint hatte.
Morty erinnerte sich daran, daß er in der Bronx groß geworden war und von damals her auch den schaukelnden Gang der Typen kannte. Er kam sich komisch vor, als er ihn jetzt wieder annahm, um als einer der ihren zu gelten und damit sein Leben zu retten. Er war damals immer von den irischen Jungs verdroschen worden. Das war, bevor er begriffen hatte, daß man wie ein harter Kerl gehen mußte, um als harter Kerl zu gelten. Lieber Gott, laß mich das hier durchstehen.
Morty war als letzter der Gefangenen in seine Zelle geführt worden. Beim Anblick seines neuen Zellengenossen war ihm die aufgesetzte Großspurigkeit mit einem Schlag abhanden gekommen. Die ebenholzschwarze Gestalt, die auf der unteren Pritsche lag, sah aus wie seinen übelsten Alpträumen entsprungen. Fast eins neunzig groß, über hundert Kilo reine Muskeln, die beinahe die Nähte sprengten, dazu ein geschorener Kopf, der ihn noch bedrohlicher aussehen ließ. Morty zögerte, die Zelle zu betreten. Er hätte nicht einmal einen Aufzug gemeinsam mit diesem schweren Jungen benutzen wollen.
Der Wärter hatte ihn in die Zelle geschubst und hinter ihm abgeschlossen.
»He, Mo, schau, wen ich dir da gebracht habe. Er kann seine Zähne nicht herausnehmen. Aber das wirst du schon besorgen, Mo. Übrigens ist das eine Berühmtheit. Du kennst doch den ›Irren Morty‹? Da hast du ihn. Bloß daß er jetzt der ›Kirre
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