Der Club der Teufelinnen
immer gegen die Einsamkeit hatte ankämpfen müssen. Wie war es bei den anderen? Rannten auch die anderen immer nur der Einsamkeit davon? Sie hatte darunter gelitten und sich geschworen, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um ihrem Kind diese Erfahrung zu ersparen. Sylvan Glades war das Bollwerk, das Sylvie vor Vereinsamung schützen würde. Wie Aaron auch immer darüber urteilte, Sylvan Glades war eine Wohnanlage, wo Sylvie glücklich mit anderen Behinderten leben konnte. Dort würde sie eine Beschäftigung finden und Freunde und Hilfe in allen Dingen, bei denen sie Hilfe brauchte. Und sie würde so sein wie die anderen, ganz genau so.
Es war eine ausgesprochen teure Einrichtung, aber sie hatten frühzeitig an eine Langzeitpflegeversicherung gedacht, und Annie hatte den Zahlungen ihres Mannes das meiste ihres Vermögensanteils hinzugefügt. Von daher war reichlich gesorgt, um ihr Kind vor der Einsamkeit zu bewahren, die Annie jetzt so fest im Griff haben würde.
Sie machte die Reisekiste für Pangor bereit und verabreichte ihm in einem Kügelchen Sahnefrischkäse eine Beruhigungspille. Sie hätte selbst eine brauchen können.
Um Punkt acht klingelte Hudson. Sylvie, in einer weißen Leinenbluse und einem schönen blauen Trägerrock von Saks, tanzte vor Begeisterung. »Wir fahren zur Schule, zur Schule«, sang sie, während Annie sich ein Lächeln abrang.
»Anderswo-schlafen-Schule«, erinnerte sie sie.
»Anderswo-schlafen-Schule«, bestätigte Sylvie nickend. »So wie Alex und wie Chris.« Sie griff nach Annies Hand. »Komm, fortfahren.«
Sylvie war zu aufgeregt, um während der Fahrt zu schlafen. Sie spielten daher ein paar Spiele und malten. Sylvie aß eines von den Brötchen und eine halbe Banane. Die Fahrt kam Annie endlos vor, andererseits war sie dann wieder viel zu schnell zu Ende.
»Ist das deine neue Schule?« fragte Hudson als sie in die Auffahrt einbogen, die zu dem eleganten umgebauten Landhaus führte. Er stieß einen Pfiff aus. »Toller Laden.«
Sylvie zappelte auf dem Sitz und mußte kichern. »Toller Laden«, wiederholte sie, die Augen weit geöffnet. Annie liebte die Augen ihrer Tochter. Für Fremde waren sie ein Merkmal für das Downes-Syndrom, doch Annie erschienen die leicht schrägen, fast asiatischen Augen ihrer Tochter ausgesprochen liebenswert und geheimnisvoll. Katzenaugen. Augen, die jetzt voller Furcht waren. Einmal hatte Sylvie sie damit überrascht, daß sie auf das Bild einer Geisha in einem von Annies Büchern über Japan zeigte und dabei sagte: »Wie meine Augen, Mami.«
Als sie vor dem Hauptgebäude vorfuhren, trat die Leiterin, Frau Dr. Gancher, heraus. Sie war eine große, füllige Frau. Sachlich, aber voller Wärme. Während sie Annie und Sylvie begrüßte, begann Hudson mit dem Ausladen des Gepäcks.
Trotz ihrer Größe war Dr. Gancher keine furchteinflößende Frau. Aber Sylvie traute sich nicht so recht hervor. »Sag guten Tag, Sylvie«, ermunterte Annie sie, und Sylvie murmelte einen Gruß. Dann hob sie den Kopf: »Ich habe eine Katze. Sie hat Augen wie ich.« Verblüfft schaute Annie auf ihre Tochter. Noch nie hatte Sylvie sich mit Pangor verglichen. Abermals war Annie betroffen darüber, daß ihre Tochter ihre Gedanken zu erraten schien.
Dr. Gancher lächelte. »Und soviel ich weiß, wird deine Katze mit dir zusammen hierbleiben.« Sylvie nickte.
Das Gepäck war mittlerweile ausgeladen und blieb vorerst dort stehen. »Willst du deine neue Schule sehen?« Sylvie bejahte diese Frage, und sie machten einen Rundgang durch das Hauptgebäude, die Cafeteria und das Gemeinschaftshaus, wo Sylvie ein Zimmer bekommen würde. Alle ›Schüler‹ machten einen gepflegten Eindruck und gingen irgendwelchen Beschäftigungen nach. Nach einer guten Stunde waren sie wieder am Ausgangspunkt angelangt.
»Magst du jetzt auf Wiedersehen zu deiner Mutter sagen?«
Sylvie nickte. »Tschüs, Mam-Pam«, meinte sie ganz beiläufig.
»Dann meine ich, wäre es an der Zeit für Sie zu gehen, Mrs. Paradise. Darf ich Sie heute abend anrufen?«
Annie erstarrte kurz. »Jetzt schon?« Aber dann sah sie ein, daß es so für Sylvie am besten war. »Ja, natürlich.« Sie wandte sich ihrer Tochter zu. »Auf Wiedersehen, mein Liebes. Ich komme ganz bald wieder.«
Sylvie fuhr fort zu lächeln. »Geh nicht, Mam-Pam. Geh nicht fort.« Doch sie schien weiterhin ruhig zu sein.
»Ich muß jetzt gehen, Kleines. Du erinnerst dich? Das ist die Spielregel bei einer Anderswo-schlafen-Schule.« Das Lächeln
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