Der Club der Teufelinnen
Pulsschlag an der Kehle, bestätigte sich damit, daß sie tatsächlich noch unter den Lebenden weilte. Diese leise Berührung entlockte ihr ein nahezu elementares Aufstöhnen. Als sie spürte, daß sie die aufsteigenden Tränen nicht mehr würde zurückhalten können, schloß sie die undurchsichtige Trennscheibe zum Fahrer. Pas devant les domestiques .
Langsam, wie ein Mantra, flüsterte sie: leer. Sie wußte nicht recht, was sie damit meinte, die Schränke oder sich selbst. Aber die Leere war altvertraut. Sie fühlte sich alt. Ihre schlimmsten Befürchtungen waren eingetreten. Sie war allein. Egal was sie unternommen hatte, um niemals dieses Gefühl des Alleinseins verspüren zu müssen, egal welche Kompromisse sie in ihrem Leben eingegangen war, um es zu vermeiden: Jetzt war sie allein. All ihr Geld, ihr gutes Aussehen, ihr Talent, alle ihre Beziehungen – nichts hatte sie davor bewahren können. Sie zog ein Taschentuch aus ihrer Handtasche. Was soll ich bloß tun. Die Tränen versiegten. Was soll ich bloß tun?
In Gedanken ging sie noch einmal Bills Schränke durch. Alles leer. Gab es vielleicht eine andere Erklärung dafür? Nein, es war eindeutig. Sie schüttelte heftig den Kopf, so als wolle sie diesen Anblick aus ihrer Erinnerung verbannen. Alle diese offenen Schränke und Schubladen, geleert von jeder Spur, jedem Anzeichen jenes Mannes, mit dem sie fast zwanzig Jahre verheiratet war. Sie krampfte die Hände ineinander, als ob sie dadurch die Spannung aus ihrem Körper ableiten konnte.
Als sie zu weinen aufgehört hatte, wurde ihr bewußt, daß sie sich nicht einmal die klassische Frage gestellt hatte, und das hob ihre Lebensgeister wieder ein wenig. Sie hatte sich nicht die Frage gestellt, die sich allen verlassenen Ehefrauen als erstes aufdrängt: Was habe ich falsch gemacht? Elise schnaubte in ihr Taschentuch und genoß diese klitzekleine Genugtuung. Es ist nicht meine Schuld. Ohne den geringsten Zweifel konnte sie gewiß sein, alles unternommen zu haben, um ihre Ehe zu retten. Bill war es gewesen, der weiterhin seine Affären gehabt und sie betrogen hatte und dabei nach wie vor alle Vergünstigungen ihres Reichtums und ihrer gesellschaftlichen Stellung genoß.
Elise saß gerade, den Kopf aufgerichtet. Noch ein Tupfer an den Augen, dann klappte sie den Innenspiegel auf, um den Schaden zu überprüfen. Mechanisch erneuerte sie ihr Make-up. Bill konnte nicht wissen, daß sie in der Wohnung gewesen war, und ging immer noch davon aus, daß sie von Greenwich direkt zur Lunch-Verabredung kommen würde. Hatte er ihr das beim Lunch in einem öffentlichen Restaurant beibringen wollen? Natürlich, so war es. Beim Lunch wollte er ihr mitteilen, daß er sie verlassen hatte. Und er hatte dabei auf Elises gute Erziehung und ihre persönliche Abscheu vor öffentlichen Szenen vertraut. Und dann wäre er gegangen, ohne sich mit ihren Gefühlen auseinandersetzen zu müssen.
Lustlos sah sie zur Seite. Dabei fiel ihr Blick auf das Guggenheim-Museum. Durch das grau getönte Glas der Wagenfenster machte das Gebäude einen unheimlichen, unwirklichen Eindruck, so daß Elise die Augen wieder schließen mußte. Es folgte das Metropolitan-Museum und schließlich das Frick-Gebäude. Sie erinnerte sich an einen wunderbaren Maitag, als sie mit Annie dort durch die Räume geschlendert war, um anschließend noch im Garten bei den üppig blühenden Azaleen zu sitzen. Was hatte Annie damals noch gesagt? Männer haben es so viel leichter.
Dann stellte sie fest, daß sie jetzt keinen Wert auf irgendwelche Begegnungen bei Martha legte. Ebensowenig war ihr nach den Touristenströmen im Rockefeller-Center zumute. »Mosely, ich habe meine Meinung geändert. Fahren Sie bitte die Madison Avenue hinauf.« Vielleicht wäre ein Besuch im Antiquariat in der 93. Straße besser geeignet. Sie könnte sich dort zwischen den Regalreihen zurückziehen und in aller Ruhe überlegen, was als nächstes zu tun war.
Annie hatte völlig recht gehabt. Männer packen einfach ihre Sachen und gehen fort. Wie kam es bloß, daß sie die Feigheit, die dieser Handlungsweise zugrunde lag, nicht zu sehen vermochten? Elise nahm an, daß sie, wie die meisten Frauen ihrer Generation, trotz ständiger Gegenbeweise in dem Glauben aufgewachsen war, daß wirkliche Männer sowohl tapfer als auch verantwortungsbewußt zu sein hatten. Bill aber war weder das eine noch das andere. Und genausowenig waren es die übrigen hohlen Anzüge, die als angemessene Partner jener Frauen
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