Der Codex
gewischt. Und dort befand sich ein Blutfleck auf dem Boden. Er folgte der Fährte in einen ve r fallenen Gang und schaltete seine Lampe ein. Von einem Stein gekratztes Moos. Ein Fußa b druck auf dem weichen Boden. Jeder Idiot konnte diese Spuren lesen.
Hauser folgte den Markierungen, so schnell er nur kon n te. Er fühlte sich wie ein Bluthund. Als er in ein riesiges Gehölz eintauchte, erblickte er eine besonders deutl i che Fährte: Die Broadbents hatten auf ihrer kopflosen Flucht einen Haufen verfaultes Laub aufgerührt.
Zu eindeutig. Hauser blieb stehen. Er lauschte. Dann duckte er sich und untersuchte sorgfältig den Boden. Amateu r haft. Der Vietcong hätte sich kaputtgelacht: ein umgebog e ner junger Baum, eine unter Blättern versteckte Liane n schlinge; ein fast unsich t barer Stolperdraht. Hauser wich vorsichtig einen Schritt zurück, nahm einen Stock, der - wie günstig - in der Nähe lag, und schob ihn unter die Fußa n gel.
Ein Knacken. Der junge Baum schoss in die Höhe, die Schlinge zog sich zusammen. Hauser spürte ein plötzliches Lüftchen und ein Ziehen an seinem Hosenbein. Er schaute nach unten. In der losen Bügelfalte seiner Hose steckte ein kleiner Pfeil. Von seiner im Feuer gehärteten Spitze tropfte eine dunkle Flüssigkeit.
Der Giftpfeil hatte ihn um knapp zweieinhalb Zentimeter verfehlt.
Hauser verharrte eine ganze Weile. Er musterte jeden Quadratzentimeter des ihn umgebenden Bodens, jeden Baum und jeden Ast. Als er befriedigt feststellte, dass hier keine weitere Falle auf ihn lauerte, beugte er sich vor, um den Pfeil aus der Kh a kihose zu ziehen. Dann hielt er erneut inne - gerade noch rechtzeitig. Aus dem Pfei l körper ragten zwei fast unsichtbare Stacheln hervor. Auch sie waren nass vom Gift. Bei dem Versuch, sie zu packen, hätten sie sich in seine Finger gebohrt.
Hauser griff sich einen Zweig und schnippte den Pfeil von seinem Hosenbein.
Äußerst gerissen. Drei Fallen in einer. Einfach und effe k tiv. Das hatte er zweifellos dem Indianer zu verdanken.
Hauser bewegte sich nun etwas langsamer voran - und mit mehr Respekt.
75
Tom trabte durch den Wald. Tempo war ihm nun wichtiger als Stille, aber er machte einen Umweg, um Hauser nicht in die Hände zu laufen. Sein Weg führte ihn durch ein Lab y rinth von unter dichten Schichten von Kletterpflanzen b e grabenen Tempe l ruinen. Er hatte keine Lampe, deswegen musste er sich manchmal durch finstere Gänge tasten oder unter umgefallenen Steinen hindurchkriechen.
Bald erreichte er den östlichen Rand des Plateaus. Er legte eine Pause ein, um wi e der zu Atem zu kommen, dann pirschte er zum Klippenrand und schaute in die Ti e fe, um sich zu orientieren. Seinem Gefühl nach musste die Tote n stadt irgendwo sü d lich liegen, also wandte er sich nach rechts und folgte dem Pfad am Rand der Kli p pen entlang. Zehn Minuten später erkannte er die Terrasse sowie die über der Tote n stadt aufragende Felswand und stieß auf den versteckten Pfad. Er huschte hinab und lauschte an jeder Ecke - für den Fall, dass Hauser noch hier weilte. Aber er war offenbar längst weg. Dann erreichte er die dunkle Öf f nung der Grabkammer seines Vaters.
Die Rucksäcke lagen noch dort in einem Stapel auf dem Boden, wo sie sie abgelegt hatten. Tom nahm seine Machete wieder an sich und schob sie in die Scheide. Dann hockte er sich hin, kramte in den Rucksäcken und entnahm ihnen einige Riedgra s bündel sowie eine Schachtel Zündhölzer. Eines der Bündel steckte er in Brand und betrat dann die Grabkammer.
Sie stank bestialisch. Tom atmete durch die Nase ein und wagte sich weiter nach innen. Es lief ihm vor Grauen kalt über den Rücken, als ihm einfiel, dass sein Vater den letzten Monat hier verbracht hatte. Eingeschlossen in pechschwa r ze Dunkelheit. Das flackernde Licht erhellte eine erhöhte Bestattungsplattform aus dunklem G e stein. Sie war mit Schädeln, Ungeheuern und anderen eigenartigen Motiven verziert. Stapel von mit Stahlbändern verschlossenen Kisten und Kästen umgaben sie. Es war nicht gerade die Gruft von König Tutenchamun. Sie glich eher einem schmutzigen, voll gestopften Lagerhaus.
Tom überwand sein Ekelgefühl und trat einen Schritt heran. Hinter den Kisten hatte sein Vater sich einen primit i ven Wohnbereich geschaffen. Offenbar hatte er ein wenig Stroh und Staub zusammengekratzt, um eine Art Bett zu formen. An der Rückwand standen mehrere irdene Töpfe, die wohl Nahrung und Wasser enthielten. Modriger G e stank stieg aus
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