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Der Codex

Titel: Der Codex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Preston
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Dschungel zurückzuwerfen, den sie durchquert hatten.
    Tom wischte sich den Schweiß von der Stirn. Der Ber g hang fiel in einer fantastischen Smaragdfarbe vor ihnen in die Tiefe. Achthundert Meter unter ihnen wogte ein grüner Ozean von Vegetation. Über ihnen zogen gewaltige Kum u luswolken dahin.
    »Ich wusste nicht, dass wir so hoch oben sind«, sagte Sa l ly.
    »Danken wir der Jungfrau Maria, dass wir überhaupt so weit gekommen sind«, erwiderte Don Alfonso leise und legte seinen Rucksack aus Palmwedeln ab. »Dies ist ein g u ter Platz zum Rasten.« Er setzte sich auf einen Baumstamm, zündete seine Pfeife an und erteilte Anweisungen.
    »Sally, Sie und Tom gehen auf die Jagd. Vernon, Sie machen zuerst ein Feuer, dann bauen Sie einen Unterstand.«
    Er lehnte sich zurück und qualmte träge und mit halb geschlossenen Augen vor sich hin.
    Sally hängte sich das Gewehr über die Schulter, dann set z ten sie und Tom sich in Bewegung. Sie folgten einer Art Wildwechsel. »Ich hatte noch gar keine Gelegenheit, Ihnen zu danken, dass Sie auf die Soldaten geschossen haben«, sagte Tom. »Das hat uns wahrscheinlich das Leben gerettet. Sie haben wirklich Mumm.«
    »Sie sind wie Don Alfonso. Es scheint Sie zu überraschen, dass eine Frau mit einem Gewehr umgehen kann.«
    »Ich habe Ihre Geistesgegenwart gemeint, nicht Ihre Schießkünste. Aber ... Na ja, ich geb's ja zu: Es hat mich ü berrascht.«
    »Dann darf ich Sie informieren, dass wir mittlerweile im einundzwanzigsten Jahrhundert leben - in dem Frauen nun eben Überraschendes tun.«
    Tom schüttelte den Kopf. »Sind in New Haven alle so widerborstig?«
    Sallys grüne Augen musterten ihn kühl. »Sollen wir jetzt zur Jagd schreiten? Ihr Gequatsche verscheucht uns noch das Wild.«
    Tom unterdrückte jeden weiteren Kommentar und scha u te zu, wie ihr schlanker Körper sich durch den Dschungel bewegte. Nein, Sally glich Sarah überhaupt nicht. Sie war widerborstig und nahm kein Blatt vor den Mund. Sarah war aalglatt; sie sprach nie aus, was sie wirklich dachte. Sie sagte nie die Wahrheit und war auch zu Menschen höflich, die sie nicht ausstehen konnte. Für sie war es stets vergnü g licher gewesen, die Menschen zu täuschen.
    Die beiden gingen weiter. Ihre Schritte machten auf den feuchten, elastischen Blättern kein Geräusch. Der Wald war kühl und dicht. Durch die Lücken zwischen den Bäumen konnte Tom den Rio Macaturi sehen, der sich tief unter i h nen durch den Regenwald schlängelte.
    Aus den bewaldeten Hängen über ihnen ertönte eine Art Husten. Es klang wie ein Mensch, nur tiefer und kehliger.
    »Das«, sagte Sally, »hört sich nach einer Katze an.«
    »Katze?«, sagte Tom. »Meinen Sie Katze wie Jaguar?«
    »Ja.«
    Sie marschierten nebeneinander durchs Dickicht und schoben mit den Händen Blätter und Farne auseinander. Die Berghänge waren eigentümlich still. Sogar die Vögel hatten ihr Gezwitscher eingestellt. Eine Eidechse huschte an einem Baumstamm hinauf.
    »Ich hab hier oben ein komisches Gefühl«, sagte Tom. »Es ist irgendwie unwirklich.«
    »Das hier ist ein Nebelwald«, sagte Sally. »Ein Regenwald in großer Höhe.« Sie ging mit der Waffe im Vorhalt voraus. Tom hielt mit ihr Schritt.
    Dann wieder dieses Fauchen, tief und dröhnend. Es war das einzige Geräusch in dem nun schon unnatürlich stillen Wald.
    »Das klang näher«, konstatierte Tom.
    »Jaguare haben viel mehr Angst vor uns als wir vor i h nen«, erwiderte Sally.
    Sie kletterten einen mit riesigen umgestürzten Findlingen bedeckten Hang hinauf, zwängten sich zwischen bemo o sten Felsen hindurch und kamen schließlich an einen dic h ten Bambushain. Sally umrundete ihn. Die Wolken waren i h nen nun sehr nahe. Dunstfetzen trieben durch die Bäume. Die Luft roch nach feuchtem Moos. Die Aussicht nach u n ten war im Weiß verschwunden.
    Sally blieb stehen, hob das Gewehr, wartete ab.
    »Was ist denn?«, fragte Tom leise.
    »Vor uns.«
    Sie pirschten weiter. Vor ihnen erstreckte sich wieder eine Ansammlung gigantischer moosbewachsener Findlinge. Sie wirkten wie aufgestapelt und formten eine Wabe aus dun k len Löchern und Durchgängen.
    Tom stand hinter Sally und wartete ab. Der Dunst wehte schnell heran und reduzierte die Bäume zu Silhouetten. Der Nebel entzog der Landschaft das Fantastische und verwandelte sie in ein stumpfes Blaugrau.
    »Zwischen den Felsen, da bewegt sich was«, sagte Sally leise.
    Sie duckten sich und warteten ab. Tom merkte, wie der Nebel sich um sie sammelte und

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