Der Colibri-Effekt
Bernd?«
»Äh, ja?«
»Ich bin
wirklich froh, dass du noch unter den Lebenden weilst«, sagte Haderlein leise.
Am
anderen Ende der Leitung herrschte für einen Augenblick Stille. Lagerfeld war
baff. Das war das erste Mal, dass er seinen Seniorchef sentimental erlebte. Und
ein Franke wird nur sentimental, wenn es gar nicht mehr anders geht.
»Bassd
scho, Franz«, erwiderte Lagerfeld lässig, dann beendete er das Gespräch.
Die
folgenden Minuten verbrachte Haderlein damit, die Kollegen aus dem Bett zu
klingeln und in die Dienststelle zu zitieren, die sie doch erst vor Kurzem
verlassen hatten.
Fidibus
und Huppendorfer waren sehr erleichtert, vom Lebenszeichen ihres Kollegen zu
hören, aber das, was Haderlein ihnen zu berichten hatte, stürzte sie in hektische
bis panische Betriebsamkeit. Besonders Fidibus, der sich um die Zusammenarbeit
mit den norwegischen Behörden kümmern sollte. Andererseits war er dabei in
seinem Element, denn bei solchen Aufgaben bewies er regelmäßig, warum er hier
der Chef war und niemand sonst.
Als alles
seinen Gang ging, setzte sich Haderlein in seinen Drehstuhl am Schreibtisch, um
die Erzählung von Lagerfeld noch einmal Revue passieren zu lassen. Durch die
ganze Schreiberei und die Hektik hatte er sich die Zeit bisher nicht nehmen
können.
Jetzt
versuchte er alles zusammenzufassen. In Norwegen war also etwas passiert, das
mit ihrem Fall zu tun hatte. Das hörte sich zwar erst einmal unglaublich an,
aber Lagerfeld hatte absolut überzeugt geklungen, und auf seine Intuition war
normalerweise Verlass. Und Kiesler hieß also gar nicht Kiesler, sondern Jahn.
Haderlein bemerkte, dass der Name etwas bei ihm auslöste. Jahn, Jahn, wo hatte
er den Namen im Zuge der Ermittlungen schon einmal gehört? Jahn? Als es ihm
einfiel, schlug er sich mit der Hand gegen die Stirn. Die Architektin auf der
Burgbaustelle hieß Jahn. Hildegard Jahn. Natürlich konnte es sich um einen
Zufall handeln, aber bei diesem Mord glaubte er nicht mehr an irgendwelche
Zufälle.
»Cesar,
überprüfe doch mal die Familienverhältnisse einer gewissen Architektin
Hildegard Jahn. Ich will alles wissen. Geboren, gewohnt, Brüder, Schwestern,
einfach alles, klar?«
Cesar
Huppendorfer wischte sich imaginären Schweiß von seiner Stirn und nickte kurz.
Jetzt kam plötzlich alles auf einmal. Natürlich nach Feierabend. Er hoffte nur,
dass dieses Mal verwertbare Ergebnisse heraussprangen.
In
Haderleins Kopf verwandelte sich das Daten- und Faktenchaos währenddessen auf
wundersame Weise in eine sehr grobe Ordnung. Da gab es einen Haufen für
Norwegen und einen für Hans Günther Jahn, jetzt aber würde er sich näher mit
dem Datenstapel »Belomorkanal« und dem des U-Bootes mit Namen »Komsomolez«
befassen. Auch in diesen Stapeln mussten irgendwo Türchen zum Festsaal der
höheren Erkenntnis versteckt sein. Er hatte sie noch nicht entdeckt, aber sie
waren ganz sicher da, die Türchen.
»Cesar,
hast du eigentlich schon etwas herausgefunden bezüglich dieses russischen U-Bootes?
Du weißt schon, das mit den Zigaretten?«, fragte er den gerade überlasteten
Huppendorfer.
»Ja, habe
ich. Liegt da drüben in dem roten Schnellhefter, Franz, such’s dir doch bitte
selbst raus, ja?« Huppendorfer hatte nicht einmal von seinem Bildschirm
aufgeschaut, so vertieft war er in seine Recherchen.
Haderlein
ging zu Huppendorfers Schreibtisch und nahm sich den roten Schnellhefter. Er
wollte kurz in den Unterlagen stöbern, um vielleicht auf ein weiteres kleines
Puzzleteil zu stoßen. Das erste Blatt enthielt die genauen technischen Daten
des U-Bootes »Komsomolez«. Er las sie aufmerksam durch, auch wenn er nicht
alles verstand.
K-278
»Komsomolez«
Herkunftsland: U d SSR
Typ:
Angriffs-U-Boot
Stapellauf:
1983
Verbleib:
1989 gesunken
Bauwerft:
Sewerodwinsk
Technische
Daten:
Länge:
117,5 m (110 bis 120 m)
Breite:
10,7 m (11 bis 12 m)
Tiefgang:
8 bis 9 m
Druckkörper:
Zweihüllenboot aus nichtmagnetischem Stahl (Titan)
Verdrängung
(aufgetaucht): 4400 bis 5750 t
Verdrängung
(getaucht): 6400 bis 8000 t
Geschwindigkeit
(über Wasser): 14 kn
Geschwindigkeit
(unter Wasser): 36 bis 38 kn
Max.
Tauchtiefe: 1100 m bis 1350 m
Besatzung:
64 bis 68 (32 Offiziere, 21 Bootsmänner und 15 Mannschaften)
Antrieb:
zwei Flüssigmetall-Reaktoren unbekannter Leistung
Sensoren:
Oberflächensuchradar »Snoop Head«
aktives
Niederfrequenz-Sonar »Shark Gill«
System
für elektronische Kampfführung »Bald Eagle«
Bewaffnung:
2 x SS -N-15 RPK
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