Der Computer und die Unsterblichen
Wert dieses Dolches?«
»Nein.«
»Er geht in die Tausende. Es ist eine äußerst seltene Antiquität, viele Jahrhunderte alt.«
»Was ist es?«
»Ein Katar. Ein altertümlicher indischer Dolch.«
»Indisch!« sagte ich ungläubig. »Nachdem man mein Haus geplündert und niedergebrannt hatte, fand ich ihn in den Trümmern.«
»Ja, das erzähltest du schon«, sagte Hillel bedächtig. »Dieser Zufall ist für uns von unschätzbarem Wert. Du hast den geheimnisvollen Abtrünnigen identifiziert. Er verlor den Dolch, als er dein Haus zerstörte.«
»Der Radschah? Nein.«
»Der Radschah. Er ist Hindu und das einzige indische Mitglied der Gruppe.«
»Ausgeschlossen. Es muß eine andere Erklärung geben. Irgendein Plünderer verlor ihn. Wer weiß, wo er ihn gestohlen hatte.«
»Einen Dolch, den du nur in Museen findest? Der Radschah hat ihn verloren.«
»Er wurde aus einem Museum gestohlen.«
»Sieh dir den Griff an. Er ist wie für eine Kinderhand gemacht; unsere Hände wären viel zu groß für ihn. Nun, die Hindu-Aristrokratie war immer zartgliedrig und feinknochig. Der Radschah ist der Renegat.«
»Dieser schöne verwöhnte Prinz? Warum? Kannst du mir das sagen?«
»Es wird mir ein großes Vergnügen sein, ihn persönlich zu fragen ..., wenn ich lange genug lebe, um die Antwort zu hören. Nun, sollten wir nicht mit der Jagd beginnen?«
»Richtig. Nat, hol diesen Krieger. Wir werden beide Kriegsbemalung anlegen, wenn wir mit der Suche beginnen. Das wird dem Netz eine Nuß zu knacken geben.«
»Gott der Gerechte!« rief Hillel. »Willst du dich vielleicht durch Hunderte von Kilometern unterirdischer Höhlen zu Fuß anschleichen?«
»Was würdest du vorschlagen?«
»Das gleiche, was ich nehmen werde. Einen Luftkissengleiter.«
»Das sind komplizierte Maschinen mit Elektronik. Sie können melden.«
»An das Netz? Nicht durch vierhundert Meter Fels.«
»Aber sie können Guess verständigen.«
»Wie? Er braucht den Extro als seine Schaltzentrale, genauso wie der Extro ihn braucht. Getrennt sind sie nichts.«
»Du hast wieder mal recht, Hilly. Ich komme also von Chicago und du von Detroit. Wir werden irgendwo in der Mitte zusammentreffen, und um Himmels willen, schieß nicht. Denk daran, der einzige gute Indianer ist ein lebendiger Indianer.«
Lange Lanze und ich waren großartig. Die düstere Kriegsbemalung machte uns in Chicago unauffällig. Wir kauften keinen Luftkissengleiter; Lange Lanze stahl einen, einen Zweisitzer, der wie eine Schildkröte aussah. Nachdem wir als erste Tat das Funksprechgerät zerschlagen hatten, lenkten wir einen stummen Vogel. Der Schacht zu den aufgelassenen Salzbergwerken war zwischen einem haushohen Schutthaufen und den Ruinen des Opernhauses, wo ich einmal eine Aufführung von Darryl F. Puccinis ›La Bohème‹ gesehen hatte.
Wir versorgten uns mit Proviant und mußten uns durch den mit Unrat verstopften Schacht einen halben Kilometer hinunterbrennen, um die ebenen Abbaustrecken des ehemaligen Bergwerks zu erreichen; man hatte den Schacht ein Jahrhundert lang als Müllkippe verwendet. Es war beinahe wie eine archäologische Ausgrabung: Dosen, Plastik, Glas, Knochen, Schädel, verrottete Stoffe, antike Küchenutensilien, gußeiserne Heizkörper, ausgeschlachtete Automobile und sogar ein verbeultes Messingsaxophon. Ich grapschte nach einem seltenen Nixon-Fünfcentstück und verfehlte es.
Lange Lanze starrte die Überreste des Wegwerfzeitalters mit einer Mischung von Faszination und Entsetzen an, und ich fand, daß er mir immer besser gefiel. Er war groß, mager, selbstbewußt und elastisch wie eine Stahlfeder. Außer Algonquin und Zeichensprache beherrschte er genau drei Worte: Si, No und Hermano. Das war genug.
In den Bergwerkshöhlen war es ziemlich warm, und ich war froh, daß wir nackt waren. Ich hatte einen Kreiselkompaß und sorgte dafür, daß wir auf Nordostkurs blieben, während mein Gefährte den Gleiter steuerte. Ich war davon ausgegangen, daß wir Lampen brauchen würden und hatte einen hinreichenden Vorrat mitgenommen, doch nun zeigte sich, daß künstliche Beleuchtung überflüssig war. Das Steinsalz in den Wänden, Decken und Böden des Tunnels verbreitete ein schwaches grünliches Leuchten – wahrscheinlich radioaktiv –, das uns alle Helligkeit gab, die wir brauchten. Sicherlich auch mehr Röntgeneinheiten als gut für uns war. Ich überlegte, ob es wirksame Mittel gegen Strahlungsschäden gab und beschloß, bei nächster Gelegenheit Lucy Borgia
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