Der Computer und die Unsterblichen
danach zu fragen. Die Furcht vor Lepcer ließ sich nie völlig aus dem Bewußtsein verdrängen.
Die riesigen, grünlich glühenden Höhlenkammern und Tunnels, von denen trübe schimmernde Abbaustollen abzweigten, boten einen unwirklichen Anblick. Wir mußten alle Tunnels erforschen, die für die Kapsel groß genug schienen, und so kamen wir nur langsam voran. Wir aßen und schliefen einmal. Wir aßen und schliefen ein zweites und ein drittes Mal. Manchmal sahen wir einander zweifelnd an, aber keiner dachte ernstlich an Umkehr, und so glitten wir weiter durch die dämmerig grüne Stille.
Ich dachte über den Radschah nach, denn ich konnte noch immer nicht an die Theorie des Juden glauben. Der Radschah hatte mich mit seiner großartigen Prachtentfaltung immer überwältigt. Bis zum heutigen Tage war er der unumschränkte Herrscher eines kleinen Gebirgsstaates namens Mahabharata, neuerdings zu »Bharat« verkürzt. Es gab einige fruchtbare Täler, in denen Ackerbau getrieben wurde, aber Haupteinnahmequelle waren die reichen Bodenschätze. Wann immer Technologie oder Luxus ein Bedürfnis nach einem neuen Metall erfanden, wurde es in Bharat entdeckt. Ein Beispiel: Nachdem im Uralgebirge das erste Platin gefunden worden war, entdeckte man, daß die Frauen von Bharat seit Generationen Platinschmuck trugen.
Als ich den Radschah in Spa kennenlernte, beeindruckte er mich durch seine feinen, scharfgeschnittenen Züge und die großen dunklen Augen. Seine Stimme war musikalisch, und er hatte die besten Umgangsformen und viel Humor. Er war und ist nicht demokratisch. Kastengeist. Leider faßte er sofort eine Abneigung gegen Edward Curzon.
Wie ich hörte, war sein Benehmen abstoßend, als er in den Tagen Napoleons zum ersten Mal nach Westeuropa kam. Als oberster Herrscher und Gott konnte er in Bharat nichts Unrechtes tun. In Europa war das etwas anderes. Zum Beispiel pflegte er sich in aller Öffentlichkeit zu erleichtern, wann immer er ein Bedürfnis hatte. Kein Fußboden und keine Topfpflanze war vor ihm sicher. Bald lernte er jedoch, sich zu benehmen, und zuweilen frage ich mich, welcher Held die Kühnheit hatte, es ihn zu lehren. Möglicherweise Napoleon. Mehr spricht jedoch dafür, daß es seine Schwester Pauline war, die den Radschah als einen ihrer Liebhaber hielt.
Und dieser Mann von Macht und Reichtum, der alles besaß, was ein Mensch sich nur wünschen konnte, sollte abtrünnig geworden sein und die Gruppe angreifen? Warum? In seinen Augen standen wir unter ihm. So lange ich auch darüber nachdachte, ich fand keine Erklärung.
Am vierten Tage hielt Lange Lanze den Luftkissengleiter an und machte aufgeregte Zeichen zu mir. Ich war sofort hellwach. Er lauschte angestrengt, dann stieg er aus, zog ein Dolchmesser aus dem Gürtel und stieß es in einen Riß im felsigen Boden. Darauf kniete er nieder, faßte den Handgriff mit den Zähnen und horchte durch den Mund. Dann kam er zu mir, nahm den Kompaß und beobachtete ihn genau. Er zeigte ihn mir.
Bei Gott, die Nadel war um zwei Grad von Norden nach Westen abgewichen und hing dort, egal, wie wir den Kompaß bewegten. Lange Lanze grunzte, nahm das Dolchmesser wieder an sich, stieg ein und begann den Gleiter langsam weiterzubewegen. Er bog in den nächsten breiten Korridor zu unserer Linken, folgte ihm hundert Meter, hielt an, wiederholte die Prozedur mit dem Messer und kam zurück. Mit einer Geste, die eine Kugel andeutete, sagte er: »Si.«
Ich öffnete den Mund, um Fragen zu stellen, die er niemals hätte verstehen können, doch bevor ich mich lächerlich machte, sagte er: »No«, und gab mir zu verstehen, daß ich lauschen sollte. Ich lauschte. Nichts. Ich sah ihn an. Er nickte. Er hörte, was ich nicht hören konnte. Ich lauschte. Und lauschte. Und dann hörte ich es: Musik.
12.
Wir kehrten in den Haupttunnel zurück, wo wir den Gleiter in einem anderen Seitenkorridor abstellten. Dann gingen wir zu Fuß wieder nach Norden. Lange Lanze hatte das Dolchmesser im Gürtel, und ich steckte einen Fleischbrenner in den meinen, für alle Fälle. Es hatte keinen Sinn, unnötige Risiken einzugehen. Er war barfuß, Füße wie Eisen; ich hatte meine Fußsohlen mit einem Zentimeter Plastik besprüht. Er war nackt, bemalt, und das grüne Zwielicht verlieh ihm das Aussehen eines Dämons der Unterwelt. Wenn ich ähnlich aussah, mußten wir ein bezauberndes Paar abgegeben haben.
Er ging voran und bedeutete mir, alles nachzumachen, was er tun würde. Es war eine Art
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