Der Consul
beobachtete den Strom von Menschen zwischen Brandenburger Tor und Stadtschloss. Dann standen Stühle und Tische auf dem Bürgersteig, durch einen niedrigen Holzzaun abgetrennt von der Straße. Der kalte Wind ließ dieses Bild so unwirklich erscheinen wie eine Insel in der Südsee. Wir setzten uns auf lederbezogene Stühle an Tische mit Glasplatten. Zigarettenrauch, Küchenschwaden und Ausdünstungen hatten die Decke dunkel gebeizt. An den Wänden Gemälde von Professor Herter, die den Ruhm des Cafés mit begründet hatten. Das Café war nicht einmal zur Hälfte besetzt. Ich hatte die Tür und die Fenster im Auge und sah Menschen in Winterkleidung, die scheinbar ziellos die Straße hinauf- oder hinuntereilten. Ein Mann trug vor dem Bauch und am Rücken Pappschilder: »Nehme jede Arbeit an«.
Der Kellner kam gleich, er schien strammzustehen vor den Uniformen meiner Begleiter. Wir bestellten Tee.
Rübezahl schaute Rickmer an. »Haben Sie begriffen, was Papen vorhat?«
»Ich fürchte, der will sich mit Hilfe der führerlosen Nazis zum Diktator aufschwingen, den Reichstag zum Teufel jagen und dann irgendwann den Kronprinzen zum neuen Kaiser ausrufen. Vielleicht glaubt er, seine große Stunde sei jetzt gekommen. Wenn er das versucht, haben wir einen schicken Bürgerkrieg, in dem die Reichswehr die Drecksarbeit machen darf.«
»Es geht ja schon los. In Mannheim hat es so was wie eine richtige Schlacht gegeben. Die Kommune hat die SA zusammengeschossen, das Rathaus erobert und einen Volksrat eingesetzt«, sagte Rübezahl.
»Das ist morgen, spätestens übermorgen bereinigt«, sagte Rickmer.
»Die Garnison von Karlsruhe ist in Marsch gesetzt. Die Revolutionsfeier in Mannheim war verfrüht.«
»Wenn es mal dabei bleibt. Im Ruhrgebiet soll es Verhandlungen zwischen SA und Rotfrontkämpferbund gegeben haben. Wenn die zusammen losschlagen, wird’s schwierig.«
»Ich nehme an, Papen und Schleicher werden mit Strasser reden. Wenn sie eine Koalitionsregierung hinkriegen mit den Nazis, ist der Bürgerkrieg gleich wieder vorbei, und die Thälmanns holen sich blutige Köpfe.«
Der Kellner brachte den Tee. Ich bestellte einen Weinbrand. Die Müdigkeit begann mein Hirn zu lahmen. Die Augen brannten, der Kopf tat weh. Die Ermittlungen würden schneller vorangehen, nachdem ich ein paar Stunden geschlafen hätte. Ich entschuldigte mich bei meinen Begleitern und fragte den Ober, wo das Telefon sei. Es hing im Flur zwischen Kücheneingang und Toiletten. Ich rief Wohlfeld an, er nahm nach dem zweiten Klingeln ab.
»Haben Sie die Leichenattrappe gebaut?«
»Ja, unsere Techniker haben sich streng an die Vorgaben der Rechtsmedizin gehalten. Sie haben was gebastelt aus Leinensäcken, Teerplanen und Sand.«
»Dann lassen Sie die Attrappe mal die Spree runterschwimmen. Wir wissen ja nicht, wie lange Röhm schon tot war, als er ins Wasser geworfen wurde ...«
»Der Arzt sagt, es sei kein Wasser in der Lunge. Er war also tot, als er in die Spree geworfen wurde. Und das etwa drei bis vier Stunden, bevor er beim Ruderverein angetrieben wurde.«
»Dann geben Sie mal eine Stunde zur Todeszeit dazu, die werden ihn ja nicht am Ufer geschlachtet haben. Versuchen Sie es an beiden Ufern der Spree. Wenn Sie herausgefunden haben, wo Röhm ins Wasser gekommen sein könnte, rufen Sie mich zu Hause an.«
»Jawohl, Herr Kommissar.«
Ich hasste es, wenn Wohlfeld das Militärische herauskehrte. »Und noch was. Die beiden Beschuldigten in Erfurt werden nach Leipzig verlegt, Reichsgericht. Die Order vom Justizminister an die Erfurter Staatsanwaltschaft ist unterwegs. Rufen Sie Grüntner an, er soll die beiden nach Leipzig bringen lassen, unter Bewachung. Er ist mit seinem Kopf dafür verantwortlich, dass Schmoll und Leutbold unversehrt in Leipzig abgeliefert werden.«
»Soll ich dem Kommissar das so sagen?« Wohlfeld klang ungläubig.
»Genau. Und wehe, Sie tun es nicht. Mit seinem Kopf haftet er für Leib und Leben der Beschuldigten. Wenn denen was passiert, kriegt er Ärger mit diversen Reichsministern und der Oberreichsanwaltschaft.
Da Sie ja hin und wieder eine Schwäche fürs Militärische zeigen: Das ist ein Befehl.«
Diesmal sagte er nicht jawohl.
»Und wer war es?« fragte Rübezahl, als ich mich wieder gesetzt hatte.
Ich muss ihn begriffsstutzig angeblickt haben.
»Na, der oder die Mörder von Hitler.«
»Keine Ahnung«, sagte ich.
»Und der Nachtportier und das Zimmermädchen, die alles Mögliche sind, nur nicht Nachtportier und
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