Der Consul
Augenblick hatte ich kein schlechtes Gewissen. Es war richtig, was ich tat. Aber ich ahnte, die Zweifel würden bald kommen.
»Nichts lieber als das«, sagte sie. Sie mühte sich vergeblich, gelassen zu klingen.
Ich wartete auf das Türknallen, als sie meine Wohnung verließ. Aber sie zog die Tür fast bedächtig ins Schloss.
IV.
A ls ich am Morgen das Haus verließ, fühlte ich mich frei. Nicht einmal das aufdringliche Geschwätz von Fräulein Wiese auf der Treppe konnte mir die Laune verderben. Vor der Haustür grüßte ich den Hausmeister Glubkow, der am Schloss nestelte. Ich dachte an Sofia. Ihr Gesicht verwandelte sich in meinen Gedanken in ein weich koloriertes Porträt. Mein Auge brannte. Es war über Nacht geschwollen und hatte sich blau gefärbt. Ich betrachtete es als Preis der Freiheit. Wohlfeld hatte den Horch am Straßenrand vor dem Eingang geparkt. Er stand neben dem Auto und rauchte. Er schaute mich fragend an. »Hatten Sie einen Unfall?«
Ich antwortete nicht.
»Um neun Uhr sind wir bei Strasser, um zehn bei Göring, die beiden treffen wir im Reichstag. Um elf sind wir bei Goebbels in der Redaktion des Angriffs, das ist in der Voßstraße.«
Ich nickte. Goebbels hatte ich vergessen. Wohlfeld hatte es mal wieder verstanden, gute Termine zu vereinbaren.
»Und was macht die Röhm-Attrappe?«
»Morgen wird geschwommen.«
Der Hochnebel der letzten Tage hatte sich verzogen, es war kalt und klar. Auf dem Weg zum Reichstag überholten wir am Lehrter Bahnhof eine Kolonne SA. Einige Männer waren mit Karabinern bewaffnet. Zwei schleppten ein Maschinengewehr und Munitionskisten. Die Braunhemden sahen nach Krieg aus. Ich schaute mich um, ob Schupos oder Reichswehr sich dem Zug entgegenstellten und die SA-Leute entwaffneten. Die Straßen waren leer.
Wohlfeld parkte vor dem Reichstag. Er blieb im Wagen, ich stieg die Treppe hoch und meldete mich beim Empfang. Es dauerte nicht lange, bis ich vorgelassen wurde. Gregor Strasser war ein großer Mann mit klugen Augen in einem vollen Gesicht mit Doppelkinn. Die Nase schien von ihrer schweren Spitze hinuntergezogen zu werden. Das Haar auf der Stirn hatte sich gelichtet. Er hatte einen kräftigen Händedruck.
»Wissen Sie etwas von einem Aufmarsch der SA?« Ich erzählte, was ich gesehen hatte.
Er schüttelte den Kopf. »Bewaffnet?« fragte er.
»Ja. Wenn die weitermarschieren, kriegen sie Ärger. Das wird sich Papen nicht gefallen lassen und Schleicher auch nicht.«
»Da lässt wohl der Parteigenosse Goebbels die Muskeln spielen. Der Herr Gauleiter gibt den strammen Max. Damit kommt er nicht durch. Aber Sie wollen gewiss nicht über unsere Querelen sprechen, sondern über die Morde an den Herren Hitler und Röhm.«
Strasser sprach Hochdeutsch mit niederbayerischem Unterton, er rollte weich das R. Er war als Redner berühmt, um so mehr erstaunte mich, dass er auf Theatralik verzichtete. Er sprach fast gemütlich und ließ doch spüren, wie aufmerksam er war. Ich hatte mich nie groß mit Nazis beschäftigt. Wenn mich etwas dazu brachte, an sie zu denken, dann hatte ich den geifernden Hitler vor Augen mit seiner irrwitzigen Gestik oder Goebbels mit seinem Hohn. Strasser war anders.
»Sie wollen natürlich wissen, ob ich Herrn Hitler umgebracht habe. Ich war es nicht.«
Er klang nicht so, als plagte ihn Trauer über den Tod des Erlösers.
»Sie haben Hitler in der Nacht zum 8. November besucht?«
»Ja.«
»Zu welcher Uhrzeit?«
Es klopfte an der Tür, sie ging auf, eine Frau steckte einen blonden Bubikopf durch den Türspalt. »Entschuldigung, draußen wartet der Parteigenosse Frick.«
»Leider muss der Herr Fraktionsvorsitzende weiter warten. Ich melde mich, wenn ich hier fertig bin.« Strasser lächelte die Frau an, dann verlor sich sein Lächeln, und er wandte sich wieder mir zu. »Es muss gegen eins gewesen sein. Und um Ihrer nächsten Frage vorzugreifen, ich war etwa eine Viertelstunde im Zimmer, vielleicht zwanzig Minuten. Göring und Goebbels waren auch da, sie gingen kurz vor mir. Und als ich die Suite verließ, da lebte er noch. Ich hatte am Nachmittag Fraktionssitzung, Auswertung der Wahlen und so weiter, dann habe ich mich nach Weimar kutschieren lassen. Es war eine elende Fahrerei.«
»Ich kenne die Strecke«, sagte ich.
Strasser schaute mich kurz an, dann nickte er. »Es ist eine Tragödie«, sagte er. Es klang nicht, als würde er es so empfinden.
Mein Blick blieb hängen an einem Bild an der Wand hinter ihm. Es zeigte Leo
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