Der Consul
war nass. »Herr Kommissar, Sie sollten nach Hause gehen«, sagte Elisabeth Wuttke. Ich rief nach Wohlfeld. »Der Herr Kriminalassistent ist bereits aufgebrochen. Ich soll Ihnen sagen, er hat Ihnen den Wagen dagelassen.« Ich fragte mich nicht zum ersten Mal, wie ich meine Arbeit bewältigen konnte, bevor mir Wohlfeld zugeteilt worden war.
Trotz meines Zustands setzte ich mich an den Schreibtisch und machte mir Notizen zum Stand der Ermittlungen. Nach ein paar Zeilen schob ich den Block weg, es war erbärmlich. Ich dachte an Sofia, lehnte mich zurück und schloss die Augen. Ich war traurig. Wo mochte sie sein? Für sie wäre es gut, möglichst weit weg zu sein. Ich wünschte es ihr, doch gleichzeitig fühlte ich mich alleingelassen.
Dann kam die Angst. Sie würden mich entdecken. Irgendein dummer Zufall würde mich als den Verbrecher entlarven, der den Oberreichsanwalt Dr. Voß überfallen hatte. Bisher hatten die Nachwehen des Bürgerkriegs mich geschützt. Alle verdächtigten die Kommune, natürlich glaubte niemand, dass ein Kriminalkommissar aus Berlin den edlen Ritter spielte. Sie würden mich auslachen, wenn sie mich erwischten. Soetting, der harte Hund, war auf ein Weib hereingefallen. Sie hat ihm schöne Augen gemacht, er hat sie rausgeholt, dann ist sie ihm abgehauen. Er sollte auf mildernde Umstände plädieren wegen geistiger Umnachtung, würden die Leute sagen. Ich sah ihre Gesichter vor mir, Triumph und Zorn gleichermaßen darin. Ich werde als der verrückte Kommissar in die Geschichte der preußischen Polizei eingehen. Ein unwürdigeres Ende als Engelbrecht. Der würde es genüsslich kommentieren in den Revolverblättern: ein Kommissar auf Abwegen, klugscheißerische Worte über Versuchungen des Kriminalisten und so weiter. Sie würden die Backen aufblasen, und der Sturm würde mich wegpusten. Erst ins Gefängnis oder Zuchthaus, dort liebten sie gescheiterte Polizisten, dort könnten sich die Ganoven, die ich eingebuchtet hatte, an mir rächen. Und wenn ich das überleben sollte, würde ich in der Gosse enden. Mein Schicksal war vorbestimmt. Unsicher war nur noch der Zeitpunkt, an dem mein Abstieg sich vollendete.
Es wäre übertrieben gewesen, zu behaupten, ich wäre der neue Favorit des Polizeipräsidenten. Bei der wichtigsten Ermittlung meines Lebens hatte ich keine Ergebnisse aufzuweisen. Langsam wurde es eng. Wenn ich die Fälle nicht aufklärte, wäre mein Kriminalistenleben verpfuscht, ich würde der sein, von dem alle sagten, er habe versagt, als es wichtig wurde. Da nutzten all die überführten Mörder nichts, die Bilanz wäre vernichtet für alle Zeit. Mir blieben als Zeichen meiner Erfolge nur noch die Gratifikationen, die ich in Golddollars umgetauscht hatte und unter einer Bohle im Schlafzimmer hortete. Sie würden mich nicht hinausschmeißen, ich war Beamter, das zählte in Deutschland. Aber sie konnten mich ins Archiv oder zur Sitte versetzen. Jedenfalls, wenn sie mich nicht erwischten wegen meines Überfalls in Leipzig. Sofia, wo bist du? Ich erinnerte mich an unseren Aufenthalt in Zöblitz und die Fahrt im Möbelwagen, solche Zärtlichkeit hatte ich nie erlebt. Dann fiel mir Berg ein, der in meiner Wohnung auf mich wartete.
Ich putzte mir die Nase kräftiger, als es nötig gewesen wäre, und stand auf. Auf der Berlinkarte an der Wand hinter meinem Schreibtisch studierte ich die Gegend, die Wohlfeld mit den Schupos absuchte. Mir fiel die Rennbahn Karlshorst ins Auge. Auf der Rennbahn und in ihrer Umgebung lagen einige Gebäude. War dort etwas los um diese Zeit? Ich interessierte mich nicht für den Pferdesport, er war was für feine Pinkel. Am Waldfriedhof war ein Haus eingezeichnet in die Karte. Vermutlich stand daneben ein Schuppen oder eine Garage. In einer Garage konnten Kabel mit Öl in Berührung kommen.
Ich verließ das Präsidium, ohne meine Notizen abzuschließen, setzte mich hinter das Steuer des Ford und fuhr los in Richtung Wuhlheide. Die Straße spiegelte vor Nässe, die Sicht war schlecht, es regnete. Ich fühlte mich unsicher, das Kodein bremste meine Reaktionen. Auf der Neuen Krugallee hätte ich fast einen Motorradfahrer gerammt, er war schwarz gekleidet. Über die Brückenstraße und die Edisonstraße erreichte ich die Rennbahn Karlshorst. Ich stieg aus und schlug meinen Mantelkragen hoch. Feine Tropfen nässten mein Haar, die Kälte kroch unter die Kleidung. Ich fror, die Halsschmerzen bissen.
Die Rennbahn lag verlassen in der anbrechenden Dunkelheit. Der
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