Der Cop und die Lady
überhaupt noch nicht gegeben hat. Und was Mike anbelangt - dieses Thema ist tabu. Ich will nicht mehr darüber reden.”
Er starrte sie wütend an, das Gesicht weiß, die Lippen zusammengepresst. Sie hielt seinem Blick stand. Nach und nach schien sein Zorn zu verrauchen.
Schließlich zuckte er die Schultern, lächelte reuig und sagte: „Du lässt mir ja keine andere Wahl.”
„Nein.” Zum ersten Mal seit Mikes schweigendem Aufbruch fühlte sie sich jetzt etwas besser. Julien Paroli zu bieten hatte ihr ausgesprochen gut getan. Und nicht nur das, es kam ihr irgendwie … bekannt vor. Der Augenblick der Konfrontatio n hatte fast so etwas wie eine Erinnerung in ihr heraufbeschworen, beinahe so, als ob es nicht das erstemal gewesen wäre, dass sie ihm die Stirn bot. Aber natürlich, hatte Armand nicht erwähnt, dass sie im Büro schon des Öfteren aneinander geraten waren? Und gleichzeitig hatten sie sich außerhalb des Büros ineinander verliebt.
Sie musterte Julien einen Moment. Er war groß und schlank und trug einen maßgeschneiderten grauen Anzug. Wie alt mochte er sein? Etwa achtunddreißig, schätzte sie. Er ist mein Verlobter, und ich weiß nicht einmal, wie alt er ist. Seine Gesichtszüge waren fein und ebenmäßig, er wirkte weltmännisch und kultiviert.
Er passte genau in Ninas unaufdringlich geschmackvollen Rahmen. Plötzlich stand Mike vor ihrem geistigen Auge: sein ungebändigtes Haar, die verkrumpelten T-Shirts, die abgewetzte Lederjacke, sein staubiges Loft. Für jeden, der Augen im Kopf hatte, musste es offensichtlich sein, dass, Julien besser zu ihr passte als Mike. Und warum drückte es ihr dennoch beim Gedanken an Mike fast das Herz ab? Weshalb nur sehnte sie sich so schmerzlich danach, bei ihm zu sein? Sie fürchtete, die Antwort zu kennen.
Julien beobachtete sie, und als sie die unausgesprochene Frage in seinen Augen sah, wandte sie schuldbewusst den Blick ab. Sie schuldete diesem Mann etwas, obwohl sie nicht wusste, was. Irgendwie mussten sie zu einer Entscheidung gelangen.
Julien schien ihre Gedanken gelesen zu haben. „Nina, mir ist klar, dass dir diese Amnesie einen schrecklichen Schock versetzt haben muss. Ich will dich nicht unter Druck setzen. Alles, worum ich dich bitte, ist, dass du ein bisschen Zeit mit mir verbringst, damit du mich wieder neu kennen lernen kannst.”
,,Ja, das ist ein fairer Vorschlag”, erwiderte Nina langsam.
Sein erleichterter Seufzer machte Nina klar, dass er nicht in jedem Fall mit ihrer Zustimmung gerechnet hatte.
„Gut”, sagte er und beugte sich vor. „Jetzt bin ich mir sicher, dass alles in Ordnung kommen wird. Du wirst dich wieder in mich verlieben. Trotz alledem.”
Als Nina nun in sein hübsches Gesicht schaute, verspürte sie Müdigkeit. Und eine große Leere, so als ob sie etwas verloren hätte, das ihr wert und teuer war.
Auf Juliens Drängen hin verbrachte sie den folgenden Tag mit ihm. Er arrangierte alles perfekt: Nach einem opulenten Frühstück mit Räucherlachs, Rühreiern, knusprigen Croissants und frisch gepresstem Orangensaft im Fairmont unternahmen sie einen ausgedehnten Spaziergang im Museumspark, dessen breite Fußwege bereits die ersten Spuren des Herbstes trugen. Während sie gemächlich dahinwanderten, raschelte das bunte Laub unter ihren Füßen. Nina fühlte sich zwar in seiner Gegenwart noch immer nicht besonders wohl, aber sie musste auch zugeben, dass es gewisse Momente gab, in denen sie seine Gesellschaft ganz angenehm empfand. Du musst ihn geliebt haben, sagte sie sich mehr als einmal, sonst wärst du schließlich nicht mit ihm verlobt.
Und es gab eine Menge Dinge an Julien, die man mögen konnte. Er hatte einen sicheren, guten Geschmack und wirkte sehr kosmopolitisch. Zudem schien er über reichlich Geld zu verfügen, mit dem er weder geizte noch protzte. Geld zu haben schien ihm das Normalste von der Welt zu sein, etwas worüber man sich keine Gedanken zu machen brauchte. Nina gegenüber verhielt er sich zuvorkommend und aufmerksam. Zuerst hatte sie sich instinktiv versteift, als er ihren Arm genommen hatte, um ihr ins Auto zu helfen, doch nachdem ihr klargeworden war, dass er bereit war, die Grenzen, die sie setzte, zu akzeptieren, wehrte sie sich nicht mehr dagegen.
Obendrein war er auch noch ein angenehmer Unterhalter, der eine Menge amüsanter Geschichten von seinen Reisen auf Lager hatte. Gelegentlich tauchte in einer dieser Anekdoten der Name „Marta” auf, so dass sich Nina irgendwann veranlasst sah zu
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