Der Coup von Marseille
Maßnahme binnen kürzester Zeit durchzuführen. Wenn wir jetzt also mit der Eignerkabine anfangen und uns dann rückwärts vorarbeiten können, verursachen wir vermutlich die geringsten Störungen an Bord.«
Prendergast hörte auf, an seiner Lippe herumzukauen. »Ich muss zuerst mit dem Eigner reden.« Er huschte in die Kabine zurück, ließ sie an Deck stehen.
Daphne fing Sams Blick auf und zwinkerte ihm zu. »Bisher ist alles bestens gelaufen, mein Lieber«, flüsterte sie. Flo, der stumm an Deck hin und her marschiert war, gesellte sich zu ihnen und wollte wissen, ob er sie bei der Durchsuchung der Kabinen begleiten sollte.
»Ja, unbedingt«, erwiderte Sam. »Wenn wir Elena finden, brauchen wir Sie und Ihre Waffe.«
Aus fünf Minuten wurden zehn, bevor Prendergast zurückkehrte, dieses Mal mit Lord Wapping im Schlepptau, der seine ausladende Gestalt in einen kastanienfarbenen seidenen Morgenmantel gehüllt und einen Kognakschwenker in der Hand hatte. Er warf Sam und Flo einen flüchtigen Blick zu, bevor er seine Aufmerksamkeit auf Daphne richtete. »Sie sind die Person, die Englisch spricht, oder?« Daphne neigte bestätigend den Kopf. »Nun, lassen Sie uns die Angelegenheit vernünftig regeln«, fuhr er fort. »Ich bin sicher, wir müssen zu dieser nachtschlafenden Zeit nicht jeden aus dem Bett trommeln. Ich unterschreibe Ihnen gerne irgendeinen Wisch, der besagt, dass Sie die Inspektion durchgeführt haben, und danach können wir alle wieder schlafen gehen.« Er trank einen Schluck Brandy und musterte Daphne über den Rand seiner Brille hinweg.
»Es tut mir schrecklich leid, doch das wird nicht möglich sein. Unsere Anweisungen lauten …«
»Ja, ja, ich weiß hinlänglich Bescheid über Ihre Anweisungen. Ray hat mir bereits Bericht erstattet. Aber Sie wissen ja, wie die Welt funktioniert: eine kleine Gefälligkeit hier, eine kleine Gefälligkeit dort – ich bin ein großzügiger Mann, wenn Sie wissen, was ich meine?«
Daphne wandte sich Sam zu und ließ einen Schwall Französisch vom Stapel. Als sie geendet hatte, schwieg Sam. Sein heftig hin und her wackelnder Zeigefinger und das vehemente Kopfschütteln waren Antwort genug.
Daphne Stimme klang eisig. »Sollte es noch einen weiteren Versuch geben, unsere Inspektionsarbeit zu behindern, werden die entsprechenden Behörden davon in Kenntnis gesetzt. Und nun werden wir, wenn es Ihnen nichts ausmacht, mit Ihrer Kabine beginnen.«
»Verdammte Zeitverschwendung.« Wapping stolzierte in die Kabine zurück, gefolgt von den anderen. Sam griff in seinen Arztkoffer und steckte das Lichtmessgerät in die Tasche des OP-Kittels.
Als sie die Tür zu Wappings großer und prächtig ausgestatteter Kabine öffneten, fiel ihnen als Erstes Annabel ins Auge, die vor der Frisierkommode saß und ihr Haar bürstete. Sie trug ein Negligé aus pfirsichfarbener Seide, und als sie den stram men jungen Flo in seiner Uniform entdeckte, gestattete sie einem der Träger, ein paar Zentimeter an ihrer sonnengebräun ten Schulter hinunterzugleiten. »Was ist passiert?«, hauchte sie und klimperte mit den Wimpern. »Hoffentlich sind Sie nicht gekommen, um mich zu verhaften.«
Sie schien beinahe enttäuscht zu sein, dass ihr keine unmittelbare Haft drohte und der medizinische Notdienst zum Doppelbett eilte, während Daphne erklärte, welche Form die Inspektion annehmen werde. Der Ablauf war ganz einfach. Dr. Ginoux würde mit seinem Ortungsgerät – eine Art Geigerzähler für virale Erreger, wie Daphne es beschrieb – die Kopfkissen und Handtücher im Badezimmer überprüfen. Beim kleinsten Anzeichen einer Infektion erschien ein Messwert auf dem Monitor in Miniaturformat; Keimfreiheit wurde durch einen anderen Wert angezeigt.
Beobachtet von einem finster dreinblickenden Lord Wapping und einer schmollenden Annabel schaltete Sam sein Lichtmessgerät ein und begann, damit die Oberfläche der Kopfkissen entlangzufahren. Das Gerät gab jedes Mal, wenn sich die Lichtverhältnisse änderten, beeindruckende Klickgeräusche und kleine Lichtblitze von sich. Kaum waren drei Minuten vergangen, waren die Kissen auch schon überprüft. Sam und Daphne zogen sich zur Beratung ins Badezimmer zurück, außerhalb der Sichtweite der Zuschauer. »C’est bon?« , hörten sie Daphne sagen. » Pas de réaction négative? Très bien.«
Sie lächelte, als sie in die Kabine zurückkehrten. »Na also«, erklärte sie munter. »Hat doch überhaupt nicht wehgetan, oder? Und nun können wir vielleicht mit den
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