Der Cyberzombie
ausruhen.«
Lucero nickte.
»Du ... bleibst hier. Ich kehre zurück, wenn ... wenn die Gestalt wieder stärker ist.«
Dann war er wieder verschwunden.
Mehr Zeit verstrich. Sie wußte nicht, wieviel, während sie langsam über die Leichen kroch, bis sie den Außenkreis erreichte. Sie blieb am Rand stehen, nicht in der Lage weiterzugehen. Sie sprach zum Licht. »Er irrt sich«, sagte sie. »Ich bin nicht stark. Du hast mir eine Kraft gegeben, die viel besser ist als jede Blutmagie. Du hast mir gezeigt, daß man für ein größeres Gut arbeiten kann, als ich es je kennengelernt habe.«
Die Musik umtoste sie wieder, und sie wußte, daß der dunkle Fleck in ihr wieder etwas heller geworden war. Sie hörte das Lied, und für einen Augenblick verstand sie es. Die Worte waren gedämpft, unverständlich, aber sie wußte, daß das Lied Armeen des Schreckens und des Bösen zurückhielt. Das Lied verriet ihr, daß der Vorsprung niemals zu einer Brücke werden durfte.
Das Lied bohrte sich in ihren Verstand und enthüllte ihr, daß der dunkle Kreis das Licht bedrohte. Der dunkle Kreis mußte zerstört worden. Lucero mußte den Makel auf ihrer Seele akzeptieren und sich selbst verzeihen.
Sie hatte die erste Herausforderung bestanden und sich nicht von dem bärtigen Mann verführen lassen. Als sie versuchte, mehr von dem Lied zu verstehen, beugte sie sich über die Leiche am Rand des blutigen Kreises und streckte die Hand aus, um die äußere Barriere zu berühren. Sie sehnte sich danach, aufzustehen und den Kreis zu verlassen, sich in dem Licht und der Musik zu ertränken.
Lucero schüttelte den Kopf und zog die Hand zurück. Sie wußte, damit würde sie nichts anderes erreichen, als Oscuro auf ihre Absicht aufmerksam zu machen. »Ich werde dich nicht enttäuschen«, sagte sie zu der Musik. »Ich werde das Böse aufhalten, koste es, was es wolle.«
21. AUGUST 2057
13
In den frühmorgendlichen Schatten tief im Herzen von Hells Canyon empfand Ryan einen Anflug von Verärgerung, als Dhin noch einmal über den Landeplatz hinwegflog. Der gewaltige Felsvorsprung auf drei Vierteln der Höhe der steil aufragenden Felswand, der Assets Incorporated beherbergte, wurde von starken Winden heimgesucht, die durch den Canyon peitschten und das Flugzeug bei seinem senkrechten Landeanflug behinderten.
Bei dem Flugzeug handelte es sich um eine Embraer-Dassault Mistral - einen dickbäuchigen Transportshuttle. Der Wind zerrte an der Maschine, als spiele eine Katze mit einer Maus. Im Cockpit sah Ryan den Boden näher kommen. Wind peitschte den dicken Rumpf der Mistral und drohte das schwere Flugzeug über das Landefeld hinaus und in den Canyon zu ziehen.
»Wir setzen auf«, sagte Dhin.
Ryan mußte dem Ork ein großes Lob zollen. Er spürte die Landung kaum. Er drehte sich um, während er seinen Sicherheitsgurt löste. »Du bist ein zuverlässiger Chummer«, sagte Ryan. »Gerade dachte ich noch, uns steht ein tiefer Fall bevor, und im nächsten Augenblick landest du sicher auf der Piste.«
Dhin stöpselte sich aus und richtete sich auf. »Du weißt nicht, wie dicht wir daran waren, Steine zu fressen. Wenn du das nächste Mal mitten in der Nacht verschwinden willst, weihe mich vorher ein. Ich hätte Jane gesagt, daß dieses alte Schiff hier zu groß für unsere Landebahn ist. Das Miststück reagiert so feinfüh lig wie ein Straßensamurai mit zuviel Alkohol im Blut.«
Ryan nickte. »Abgemacht.«
Endlich grinste auch der Ork. »Laß uns zu den anderen gehen.«
Als sie das Transportshuttle verließen, erblickte Ryan Axler, die vor dem Eingang des Hauptgebäudes stand. Der Wind zerzauste ihre blonden Haare und ließ ihren schwarzen Trenchcoat flattern. Doch kein noch so starker Sturm konnte den Eindruck unerschütterlichen Selbstvertrauens stören, den sie ausstrahlte.
Ryan bedachte sie mit einem Grinsen, das sie nicht erwiderte. Sie war ganz kühl und geschäftsmäßig.
Ryan freute sich nicht besonders auf die nächsten Stunden. Die Runner vertrauten seiner Führungskraft immer noch nicht hundertprozentig und waren offenbar verärgert darüber, daß er ihre erste anständige Nachtruhe seit einer Woche mit seinem Telekomanruf unterbrochen hatte.
Dhin hatte sich mehr als nur ein wenig darüber aufgeregt, mitten in der Nacht aus dem Bett gescheucht zu werden, und seine Ork-Begleiterin hatte auch nicht allzu begeistert ausgesehen.
Agent Phelps vom Secret Service war nackt noch beeindruckender als in ihrem Körperpanzer, und Ryan hatte
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