Der Dämonen-Turm Traumtor-Trilogie Band I (German Edition)
in den Nebel streckten. Lange, wehende Flechten hingen wie zerrissene Leichentücher von ihnen herab.
Der Anblick dieser gespenstischen Landschaft jagte Deina einen Schauer über den Rücken. Targil saß wie ein Standbild auf seinem Pferd. Sein Gesicht war bleich, und in seinen Zügen lag ein Ausdruck, als lausche er auf eine Stimme, die nur für ihn hörbar war.
Deina erschrak. Rief ihn Skora bereits, und würde er ihrem Ruf folgen und sie hier allein zurücklassen?
„Targil!“ rief sie angstvoll. „Targil, hört Ihr mich?“
Targil schien wie aus einem Traum zu erwachen. Furcht stand in seinen Augen, als er nun sagte:
„Sie ruft mich, Prinzessin. Sie weiß, dass ich hier bin. Noch bin ich stark genug, ihrem Ruf zu widerstehen. Doch je mehr wir uns dem Turm nähern, desto größer wird ihre Macht über mich. Ich weiß nicht, wann meine Gegenwehr erlöschen wird. Ich bitte Euch daher, mich diese Nacht zu binden, damit ich nicht ihrem Ruf folge, wenn der Schlaf meinen Willen ausschaltet.“
Sie lagerten am Rand der Sümpfe, wo der Boden noch trocken war. Der Gestank nach Aas, der von den Sümpfen herüberdrang, nahm ihnen jedoch jeglichen Appetit, und so verstauten sie ihre Vorräte bereits nach wenigen Bissen wieder im Gepäck. Danach trat Targil zu Deina. Wortlos hielt er ihr einige Lederriemen entgegen. Sie nahm sie, und er streckte ihr die Hände hin.
„Bindet mich gut, Prinzessin“, sagte er heiser, „denn ihr Ruf ist süß und mächtig, obwohl er mir wie mit Eis über den Rücken streicht.“
Deina knotete ihm einen der Riemen fest um die Handgelenke. Er prüfte seine Festigkeit, dann setzte er sich auf seine Decke nieder.
„Nun auch die Füße“, bat er, „denn selbst mit gebundenen Händen würde ich durch die Sümpfe zu ihr finden.“
Deina kniete nieder und band auch seine Fußgelenke zusammen. Als sie fertig war, schaute sie auf und Targil erwiderte ihren Blick.
„Prinzessin Deina“, sagte er leise, „ich habe Euch nie um eine Belohnung für den Dienst gebeten, den ich Euch geleistet habe. Doch nun müsst Ihr mir versprechen, dass Ihr mir eine Bitte erfüllen werdet.“
„Sprecht, Targil! Gern will ich alles tun, worum Ihr mich bittet, wenn es in meiner Macht liegt“, antwortete Deina.
„Deina, wenn Ihr merkt, dass ich Skora nicht mehr widerstehen kann, wenn ich bereit bin, ihrem Ruf zu folgen, und auch Eure Stimme mich nicht mehr aufhalten kann, dann schwört mir, dass Ihr Euren Dolch in meine Brust stoßt! Wenn Ihr mich auch verachtet – lasst mich nicht wieder in die Hände dieser Bestie fallen! Lieber sterbe ich, als dass ich das noch einmal ertrage. Gewährt mir die Gnade eines schnellen Todes von Eurer Hand, damit ich nicht elend in den Fängen dieses Ungeheuers umkommen muss. Denn diesmal würde ich ihren Frondienst nicht überleben! Bitte, Deina, versprecht mir, meinen Wunsch zu erfüllen!“
Targil hatte Deinas Hand zwischen seine gefesselten Hände genommen und presste sie eindringlich. In seinen schönen blauen Augen stand ein solcher Ausdruck von Panik, dass es Deina wehtat. Das Mädchen war zu Tode erschrocken, als sie hörte, was Targil von ihr verlangte.
„Nein, Targil, nein, das kann ich nicht!“ rief sie, und Tränen stürzten aus ihren Augen. „Versteht doch! Ich kann Euch nicht töten, denn ich liebe Euch!“
Sie warf ihre Arme um seinen Hals und presste ihren von Schluchzen geschüttelten Körper an ihn. Einen Augenblick saß Targil still. Es schien, als sei jedes Leben aus ihm gewichen. Dann hob er seine gefesselten Arme über Deinas Kopf und ließ sie um das Mädchen niedersinken, so dass Deina nun an seiner Brust lag.
„Deina, das … das habe ich nicht geahnt!“ stammelte er. „Oh, ihr Götter, mit welcher Verblendung habt ihr mich geschlagen! Und ich war so gemein zu Euch, denn ich war fest davon überzeugt, dass Ihr nur genau wie Kira mit mir spielen wolltet. Oh, Horon, welch ein Unrecht habe ich begangen! Ach, Deina, wie habe ich Euch und mich gequält, wo wir ein wenig Glück hätten finden können, bevor uns das Schicksal verschlingt!“
„Still, Targil, still!“ Deina legte einen Finger auf seine Lippen. „Lass uns die Nähe des anderen genießen, solange es uns noch vergönnt ist. Lass uns nicht reden, lass uns nur spüren, dass es uns gibt.“
Er schwieg und zog sie fester in seine Arme. Sie schmiegte sich eng an ihn und schloss die Augen. Und für eine kurze Zeit
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