Der Dämonen-Turm Traumtor-Trilogie Band I (German Edition)
tot, und über dem schlammigen Boden lag der Geruch von Moder und Verwesung. Und mit einmal hatte Deina das Gefühl, sie ginge nicht über ein Moor, sondern über Hunderte von Leichen, deren aufgequollene Leiber bei jedem Schritt unter ihr nachgaben. Voll Ekel und Furcht schaute sie nach unten, und dann gellte ihr Schrei durch den Sumpf, denn ihr Gefühl hatte sie nicht betrogen! Da lagen sie – Leiche über Leiche, aufgeschwemmt vom Liegen im Wasser, und ihre weit aufgerissenen Augen starrten gebrochen zu Deina empor.
Deina schrie, bis ihr Targil einen derben Schlag versetzte, der sie wieder zu sich brachte. Er hielt sie an sich gepresst, bis ihr krampfhaftes Schluchzen sich löste.
„Was hast du gesehen, Deina?“ fragte er.
„Wir stehen auf einem Feld von Toten“, stammelte Deina. „Siehst du denn nicht, dass wir die ganze Zeit über ihre Leiber gehen?“
„Wir gehen durch ein Moor, Liebling!“ sagte Targil. „Schau dich nur um! Das war wieder nur eines von Skoras Trugbildern.“
Zögernd blickte Deina sich um, und tatsächlich war da nur der schlammige Boden und die Wasserlachen, in denen hier und da mit leisem Blubbern Blasen aufstiegen und zerplatzten.
„Siehst du, es war nur Schein!“ tröstete sie Targil. „Aber ich bitte dich, komm jetzt weiter, so schnell du kannst. Noch haben wir das Ende des Moores nicht erreicht.“
Sein Gesicht hatte einen gehetzten Ausdruck, als fühle er ein Unheil nahen, dem er so schnell wie möglich entkommen wolle. Mit höchster Eile tappte Deina hinter ihm her den Pfad entlang, den sie nun bereits recht gut vom umgebenden Sumpf unterscheiden konnte. Wie lange sie nun schon im Moor waren, wusste Deina nicht, und langsam begann sie, gegen die Schrecken abzustumpfen, die hier und da aus dem Nebel auftauchten.
Doch da erzitterte die Luft wieder von einem grässlichen Schrei, und Deina hielt sich wimmernd die Ohren zu. Targil war aschfahl geworden und kalter Schweiß rann ihm in Bächen an den Schläfen herunter. Er ergriff Deinas Hand und zog sie mit sich fort, und sie spürte, dass seine Hand zitterte.
Da tauchte vor ihnen aus dem Nebel der Umriss des Turms auf. Der Nebel lichtete sich und das gewaltige Bauwerk lag vor ihnen inmitten eines weiten Platzes, auf dessen harter Erde nicht ein grüner Halm dem Auge Trost bot.
„Der Turm von Sku-Ul!“ sagte Targil heiser. Er ließ Deinas Hand los und trat einen Schritt auf den Platz hinaus. Deinas Hand tastete nach dem Dolch. Wieder machte Targil einige zögernde Schritte. Deina sah, wie sein ganzer Körper sich spannte. Seine Haltung bekam etwas Lauerndes und er schien Deina völlig vergessen zu haben. Rasch trat sie hinter ihn und zog den Dolch aus dem Gürtel.
„Targil! Oh, ihr Götter, verzeiht mir! Ich muss es tun!“ flüsterte sie, doch ihr Flüstern klang wie ein Schrei.
Sie hob den Dolch, um ihn Targil in den Rücken zu stoßen. Doch da drehte sich Targil zu ihr herum und sie erschrak vor dem Ausdruck in seinem Gesicht. Ihr Arm sank kraftlos herab. Ehe sie sich fassen konnte, blitzte ein irres Licht in Targils Augen auf und ein gewaltiger Schlag schmetterte Deina zu Boden. Dann drehte er sich um und rannte über den Platz auf den Turm zu.
„Targil! Nein!“ Deinas Schrei voll tiefster Seelenangst ließ ihn im Lauf innehalten. Halb wandte er sich um, doch dann, ehe Deina sich aufraffen konnte, lief er auf das große Portal zu, das sich vor ihm von allein auftat. Noch einmal blickte er sich zu ihr um.
„Deina!“ Der verwehende Ruf flatterte wie ein Blatt im Wind zu Deina hinüber, doch er wurde vom Krachen der zuschlagenden Torflügel verschlungen.
Skora hatte sich ihr Opfer geholt!
6. Im Turm von Sku-Ul
Mühsam hatte sich Deina aufgerichtet. Targil hatte mit voller Wucht zugeschlagen. Nun stand sie fassungslos da und starrte mit tränenblinden Augen zum Turm hinüber, unfähig, sich zu rühren, unfähig, das Geschehene voll zu erfassen.
Da erklang auf einmal aus dem Turm ein Lachen – dunkel und weich wie schwarzer Samt – und doch grausam und kalt wie eine Schwertklinge. Und wie eine Schwertklinge fuhr es durch Deinas Herz. Targil! Er war da drinnen, da drinnen in der Gewalt dieser Bestie, die ihr das Liebste geraubt hatte, das sie auf Erden besaß! Dieses Monster würde ihn quälen, und bald schon würden auch seine Schreie durch die Dämonensümpfe schallen.
Deinas Verzweiflung wich einem brennenden Hass auf dieses grausame
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