Der Datendieb - Wie Heinrich Kieber den größten Steuerskandal aller Zeiten auslöste (German Edition)
Tschechoslowakei. An der tschechoslowakischen Grenze lässt er
sich die Einreise in seinem Pass dokumentieren. Dann organisiert er sich
Zeugen. Er speist in einem Restaurant, zahlt und verlässt das Lokal, um kurz
danach in die Gaststube zurückzukommen und lauthals den Diebstahl seines Wagens
auf dem Parkplatz zu beklagen. Anschließend kehrt er nach Deutschland zurück,
um den vermeintlichen Raub hinter der Grenze in Plauen anzuzeigen.
Mit dem
Ersatzschlüssel in der Tasche steht dem findigen Versicherungsbetrüger der Weg
nach Australien offen – vorausgesetzt, es gelingt ihm, die Ein- und
Ausfuhrpapiere, die sein gestohlener Nissan Navara King Cab für die Türkei, den Iran, für Pakistan und Indien benötigt, zu
beschaffen.
»An den
Herrn Kieber erinnere ich mich sehr gut«, erzählt Gerlinde Eggenberger*, eine
Mitarbeiterin des Automobilclubs von Liechtenstein. »Er war bei uns auf der
Geschäftsstelle und erkundigte sich nach den Möglichkeiten, ein Fahrzeug in
außereuropäische Länder ein- und wieder auszuführen.« Was Eggenberger nicht
bemerkt: Während sie Heinrich Kieber beim Kundenempfang warten lässt, um aus
einem Büro Unterlagen zu holen, entwendet Heinrich das benötigte Dokument, ein
Blankoformular.
Es handelt
sich um ein sogenanntes Carnet de Passages , das in
vielen außereuropäischen Ländern vorzulegen ist, um ein Auto vorübergehend
zollfrei einführen zu können. Um auf legale Weise in den Besitz eines gültigen
Carnet de Passages zu gelangen, muss der Halter des
Wagens dem Aussteller des Carnet – in diesem Fall dem liechtensteinischen
Pendant des ADAC – eine Kaution oder eine Bürgschaft hinterlegen, die, je nach
Land, zwischen fünfzig und hundert Prozent des Fahrzeugwerts beträgt. Auf diese
Kaution können die Zollbehörden des Einreiselandes zurückgreifen, um sich die
Einfuhrsteuern und -zölle erstatten zu lassen, sollte das Auto nicht innerhalb
der Gültigkeitsdauer des Carnet von einem Jahr wieder ausgeführt werden. Kieber
füllt das Blankoformular eigenhändig aus – und stellt sich seine
Einfuhrgenehmigung selbst aus.
Im Oktober
1991 sind Heinrich Kieber und sein gestohlener King Cab bereits in der Türkei.
Sein liechtensteinisches Kennzeichen ist für jeden Einheimischen schon aus der
Ferne als Fälschung auszumachen. Die Klebeziffern, die er auf sein selbst
gebasteltes Nummernschild – FL 10119 – anbringt, sind von einer ganz anderen
Schrifttype als die Ziffern auf den offiziellen Kennzeichen. Nur: Welcher
Grenzbeamte in der Türkei, im Iran oder in Pakistan weiß schon, wie ein Kennzeichen
aus dem kleinen Fürstentum Liechtenstein auszusehen hat?
Gegen Ende
des Jahres sucht sich Heinrich Kieber in der südpakistanischen Hafenstadt
Karachi einen Spediteur, der seinen überhohen Nissan King Cab in einem Open-Top-Container
unversehrt übers Meer nach Darwin im Norden Australiens transportiert. Und im
Januar steht er schließlich mit seinem Auto in Manly und schließt Bekanntschaft mit Elton Martin. Martin versteht sich mit Heinrich
Kieber, oder eben Henry, wie sich dieser von nun an nennt, auf Anhieb. Er gibt
dem Touristen aus Liechtenstein seine Visitenkarte mit den Worten: »Falls du in
den kommenden Tagen mal eine Dusche brauchst.«
Es vergehen
gerade mal zwei Tage, da klingelt am späten Sonntagnachmittag das Telefon bei
Elton Martin, dessen Wohnung in Manly nur durch eine
Straße vom Wasser getrennt ist: » Hello , hello , it’s Henry! Gilt das
Angebot noch?« Keine dreißig Sekunden später steht Henry vor Martins Haustür.
Denn angerufen hat er von der Telefonzelle auf der anderen Straßenseite. »Meine
Frau steht gerade in der Küche, als Henry reinplatzt, sich umschaut und als
Erstes unseren randvollen Kühlschrank inspiziert. Sie konnte mit seiner
direkten Art nicht so viel anfangen.« Martin selbst nimmt es gelassen: »Für
mich war er einfach ein bunter Hund mehr in meinem Leben, der es in das
Tagebuch reingeschafft hat, das ich damals führte.«
Henry Kieber
parkt seinen Nissan King Cab vor Martins Wohnung. »Dort blieb er für vielleicht
zwei Monate, und teilweise schlief Henry im Wagen. Wollte er irgendwo hin,
stieg er aufs Fahrrad, oder er nahm die Fähre, wenn er in die Stadt wollte.«
Kieber lebt
in Sydney in den Tag hinein und lässt sich treiben, monatelang. Einer Arbeit
geht er nicht nach – darf er auch nicht mit dem Touristenvisum, mit dem er
eingereist ist. Er müsse gar keinem Broterwerb nachgehen, erklärt er Martin:
»Henry
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