Der Datendieb - Wie Heinrich Kieber den größten Steuerskandal aller Zeiten auslöste (German Edition)
dass er von mir etwas wollte als Frau. Ich habe es überhaupt nicht
so empfunden, dass er versuchte, bei mir zu landen. Er hätte auch keine Chance
gehabt. Auf meine Freundinnen hat er eher abstoßend gewirkt. Im Sinne von: den
erträgt man ja nicht, weil er so schnell und viel gesprochen hat. Das war für
viele Menschen, kann ich mir vorstellen, zu viel.«
Gegenüber
vom Feinschmeckerlokal Real in der Fußgängerzone von Vaduz befinden sich die
Büros der LGT Treuhand AG. Im Spätsommer 1999 werden im Untergeschoss des
Bürogebäudes der LGT Treuhand temporäre Bildschirmarbeitsplätze eingerichtet
und Hochleistungsscanner in Betrieb genommen. Denn hier sollen im Herbst die
Grundlagen für das papierlose Büro im Treuhandunternehmen umgesetzt werden.
Die LGT
Treuhand AG gehört zur LGT Group, dem Finanzimperium des Fürsten von
Liechtenstein. Nach dem Hausgesetz der Familie Liechtenstein, das im Fürstentum
seit 1993 Verfassungsrang genießt, vereinigt der regierende Fürst die Funktion
des Staatsoberhauptes, des Regierers des fürstlichen
Hauses und des Vorsitzenden der Fürstlichen Stiftungen auf sich. Die Fürst von
Liechtenstein-Stiftung hält die wesentlichen Vermögen des Fürstenhauses,
darunter die LGT-Gruppe, verschiedene land- und forstwirtschaftliche Betriebe
in Ostösterreich, zwei Kellereien, Liegenschaften in bester Lage in Wien sowie
eine der bedeutendsten privaten Kunstsammlungen der Welt. Zahlen veröffentlicht
die Stiftung keine. Das Schweizer Wirtschaftsmagazin Bilanz schätzt das Vermögen der
Fürst von Liechtenstein-Stiftung auf rund sechs Milliarden Schweizer Franken.
Die
LGT-Gruppe ist die größte Finanzgruppe in Liechtenstein, und LGT Treuhand ist
eine der bedeutendsten Treuhandfirmen. Sie betreut rund 1 400 vermögende
Kunden, die die außerordentliche Diskretion des liechtensteinischen
Finanzplatzes in Anspruch nehmen. Fast die Hälfte der Klienten der
Treuhandfirma hat ihren Wohnsitz in Deutschland. [102] Mit dem Projekt Papierloses Büro bei der LGT Treuhand soll das Handling der zum
Teil telefonbuchdicken Dossiers vereinfacht werden.
Umgesetzt
wird es durch die Schweizer Firma Conex . Sie ist von
der LGT Treuhand damit beauftragt, sämtliche Akten mit Hunderttausenden von
Dokumenten elektronisch verfügbar zu machen. Dazu gehören alle internen Memos,
Aktenvermerke, Faxmitteilungen, aber auch Kontoauszüge und Stiftungsurkunden
der Klienten der LGT Treuhand AG. Wer diese Akten in Händen hat, kann die
Geldflüsse der reichen Klientel entschlüsseln und bekommt das System
Liechtenstein erklärt. Einmal in solchen Dossiers stöbern zu dürfen ist der
Traum eines jeden deutschen Steuerfahnders.
Die Firma Conex heuert für die Arbeiten rund dreißig Personen an.
Diese sind in den Kellerräumen der Treuhandfirma während mehrerer Monate damit
beschäftigt, die Akten der Klienten aufzubereiten, so dass sie von den
Hochgeschwindigkeitsscannern verarbeitet werden können. Sämtliche Mitarbeiter,
die die Firma Conex für diese recht eintönige und
gleichzeitig hochsensible Arbeit einstellt, müssen einen aktuellen
Strafregisterauszug vorlegen.
Eines Tages
im Oktober 1999 besucht Heinrich Kieber freudig aufgeregt den Lebensmittelladen
seines Onkels Guntram Vetter in Vaduz und teilt ihm strahlend mit, er habe
jetzt einen Job bei der LGT. Vetter kann nicht glauben, was Kieber ihm erzählt:
»Da habe ich geantwortet: ›Bist du jetzt komplett übergeschnappt? Warum sollten
die dich anstellen? So blöd können doch nicht mal die sein, dass sie dich einstellen?!‹«
6. Der Bock ist der Gärtner ‒ 1999
bis 2002
Eines Morgens im Herbst 1999
begegnet Personalberaterin Gerlinde Böhler Heinrich Kieber direkt vor der LGT:
»Ich fragte, wie es ihm gehe. Da zeigte er auf das Haus und antwortete, er habe
jetzt eine Stelle bei der LGT, und fügte hinzu: ›Über Beziehungen kommt man zu
guten Jobs.‹ Nachdem wir uns verabschiedet hatten, dachte ich noch: Hoffentlich
geht das gut.« Böhler hatte Kieber bekanntlich keine Stelle in einem Büro
vermitteln wollen, weil ihr das zu riskant erschien angesichts seiner
abenteuerlichen Schilderungen seiner Erlebnisse in Argentinien und Spanien.
Kieber hat zwar
keine Erfahrung im Finanzsektor: »Als ein aufgeweckter, immer mit offenen Augen
durchs Leben fliegender Liechtensteiner, waren mir aber die ›Finessen‹ des
heimischen Finanzsektors absolut bekannt. Nach ein paar kurzen Telefonaten und
Abklärungen sah ich eine hypothetische Möglichkeit,
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