Vollzeit arbeite, gibt Kieber zur Antwort,
er betreibe nebenher intensiv Sport. Und, fügt Kieber ganz unschuldig hinzu, er
unternehme an freien Nachmittagen mit seinem alten VW-Bus Ausflüge mit
Rentnern. So etwas hören Vorgesetzte lieber, als erfahren zu müssen, dass ihr
Angestellter einen wesentlichen Teil seiner Freizeit damit verbringt,
vermeintliche Peiniger aus Argentinien vor Gericht zu bringen und sich gegen
einen ehemaligen Freund zur Wehr zu setzen, der den Verkaufspreis für eine
ergaunerte Wohnung in Barcelona einklagt.
Fast
zeitgleich mit der Festanstellung bei der fürstlichen Treuhand – seine
E-Mail-Adresse lautet:
[email protected] – wird Kieber abermals auf der
Bühne des Gemeindesaals von Balzers gefeiert: Das diesjährige Programm des
Turnvereins heißt »Spielekiste«, und durch den bunten Abend führen verschiedene
Spielfiguren – Puzzle, Mikado, der Schwarze Peter und der als Ass verkleidete
Heinrich Kieber.
Kieber genießt
den Auftritt im voll besetzten Gemeindesaal. Im Gegensatz zu seiner Rolle im
Musical steht er dieses Mal während der gesamten Aufführung im Mittelpunkt und
erklärt dem Publikum in seinem clownesken Kostüm mit Narrenkappe mit seinem
unvergleichlich schnellen Mundwerk unter anderem die Regeln des Mühlespiels.
Die Zuschauer sind begeistert von der Vorstellung Kiebers, biegen sich auf
ihren Stühlen vor Lachen und spenden langanhaltenden Szenenapplaus.
Rund
eineinhalb Stunden lang leiten die Spielfiguren von den MuKi -Turnern
über die Damenriege und Fitnessgruppe zu den Geräteturnern. Beim großen Finale
betritt die als Schachdame verkleidete Präsidentin des Turnvereins die Bühne,
um sich bei Mikado, Puzzle und Ass Heinrich Kieber zu bedanken.
Dafür haben
die Programmverantwortlichen einen wahrlich kafkaesken Dialog vorbereitet:
Schachdame: »Wie ich sehe, sind alle da, auch unser Ass.
Ein Ass? Seit wann haben wir ein Ass? Was ist hier los? Sag schon, Ass, sonst
nimmt es ein noch schlimmeres Ende für dich.«
Ass: »Sie haben mich gezwungen. Ich bin gar kein Ass, ich
bin nur eine billige Sechs.«
Schachdame: »Eine billige Sechs? Du hast den ganzen Abend
lang beschissen?!«
Mikado: »Den ganzen Abend lang Chef gespielt, wie?!«
Stimme: »Wer hat beschissen?«
Alle zusammen (auf das
falsche Ass zeigend): »Er!«
Heinrich Kiebers Leben auf
einen knappen Dialog beim bunten Abend im Dorfsaal verdichtet.
Über solche Dinge lacht Kieber
hinweg. Denn ihm geht es gut. »Meine Arbeit bei der LGT Treuhand erfüllte mich
sehr und ich hatte, wie schon lange nicht mehr, das Gefühl, ein normales, wenn
auch nicht optimales Leben zu führen.« [122] Kieber ist nicht nur Herr über das elektronische Archiv der LGT, sondern auch
über das nach wie vor vorhandene physische Archiv alter inaktiver Mandate, etwa
solcher, die von anderen Treuhandfirmen weitergeführt werden. »Es gab Tage, wo
ich Stunden im Keller Akten von links nach rechts und von hinten nach vorne
bewegen musste, um endlich an eine gesuchte Stiftung zu kommen. Ich gestehe,
dass es häufig berauschend war, sich bündelweise die verrücktesten Mandate
durchzulesen.« [123]
»Wenn wir
Henry Fragen zu seiner Arbeit gestellt haben, hat er sinngemäß geantwortet,
dass er sich unterfordert fühle, deshalb gehe er ab und zu ins Archiv«, erzählt
Michael Konzett. »Es sei sehr interessant, was man da finde. Aber wir haben uns
nichts dabei gedacht, weil wir davon ausgegangen sind, dass die sensiblen Daten
nicht einfach so offen zugänglich sind.« Seinem Freund Konzett erzählt Kieber
auch von seinen Problemen bei Gericht, wenn auch in einer geschönten Fassung:
»Henry habe einem Kumpel Geld gegeben, der damit ein Grundstück erwerben
sollte. Von dem sei er dann über den Tisch gezogen worden. Henry kämpfe jetzt
dafür, dass er sein Geld wiedererhalte.«
Ansonsten
genießt Kieber sein Leben in Liechtenstein, besucht Konzerte und geht mit
seinen neuen Freunden ins Kino. »Henry liebte Ganoven- und Agentenfilme. Als
wir Bube, Dame,
König, grAS gesehen hatten, war er ganz
hingerissen von dieser Jeder-betrügt-jeden-Geschichte«, so Sandro Bertini. In
einige Kinos geht Kieber aber nicht, sagt Bertini: »Wir sind ja oft auch nach
Österreich, nach Hohenems ins Cineplexx oder nach
Feldkirch ins Namenlos. Ich wunderte mich, warum er nie mitkam. Heute ist mir
klar, warum: Er traute sich wegen des internationalen Haftbefehls nicht über
die Grenze.«
Zu Sandro
Bertini hat Kieber eine enge