Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 3
was darf’s sein?« – »Kein Problem, junger Mann, kommt sofort!« So wurde ich jahrelang ganz selbstverständlich angesprochen. Inzwischen höre ich den »jungen Mann« zwar seltener, was aber nicht heißt, dass er aus der Mode gerät. Eher bin ich es, der langsam seinen Schmelz verliert. Manchmal allerdingswirkt er noch. Bei meinem nächsten Lokalbesuch stelle ich meine Frage erneut – diesmal einer männlichen Servierkraft. »Wie werden Sie am liebsten gerufen? Herr Ober? Junger Mann? Bedienung? Hallo? Entschuldigen Sie?« Der Kellner lächelt mich an und sagt: »Mario!«
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An was erkennt man schlechten Stil?
Auf was kommt es beim Sprechen besonders an? Über was sollte man sich mehr Gedanken machen? Und gegen was sollte man sich wehren? Das sind Fragen, die es in sich haben! Menschliches Sagen und Ver-Sagen spielt dabei eine entscheidende Rolle.
Der junge Mann vom Radiosender wirkt reichlich nervös. Es sei sein erstes Interview, verrät er mir, und das ausgerechnet mit einem Experten für die deutsche Sprache! »Keine Angst, ich beiße nicht!«, versuche ich ihn zu beruhigen, »fangen Sie einfach an!« Der junge Mann drückt auf die Aufnahmetaste seines Diktiergeräts, hält mir das Mikrofon vor die Nase und fragt: »Erzählen Sie unseren Hörern doch bitte, durch was Sie zum Schreiben gekommen sind.« – »Durch meine Arbeit als Schlussredakteur«, erwidere ich, »ich habe zunächst einige Jahre die Texte meiner Kollegen korrigiert. Dabei habe ich so die eine oder andere Beobachtung gemacht, die ich später in meinen Kolumnen verarbeitet habe.« – »Verstehe«, sagt der Radioreporter und kommt gleich zur nächsten Frage: »Bei was zucken Sie denn am häufigsten zusammen?«
»Sie wollen wissen, wobei ich besonders häufig zusammenzucke?« Der junge Mann nickt: »Genau! Über was regen Sie sich am meisten auf?« – »Aufregen ist vielleicht nicht das richtige Wort. Auffallen trifft es eher. Es gibt immer wieder Dinge, die mir auffallen, weil sie gegen meine Sprachgewohnheiten verstoßen. Ich beobachte, höre, lese, notiere – und irgendwann fange ich an, darüber zu schreiben.« – »Mit was beschäftigen Sie sich im Moment?«, fragt der Radio- reporter weiter. »Mit nichts Konkretem. Aber gerade kommt mir der Gedanke, eine Geschichte über Pronominaladverbien zu schreiben.« – »Um was handelt es sich dabei ge-nau?« – »Pronominaladverbien werden auf Deutsch Umstandsfürwörter genannt; das sind kleine nützliche Platzhalter, die eine Fügung aus Präposition und Pronomen ersetzen. Ein Beispiel: Die Antwort auf die Frage ›Liegt es am Wetter?‹ könnte lauten: ›Ja, es liegt an ihm‹. Üblicherweise drückt man es aber kürzer aus: ›Ja, es liegt daran‹ oder ›Ja, daran liegt es‹. Das Wort ›daran‹ ist so ein Umstands-fürwort. Es ersetzt die beiden Wörter ›an ihm‹. Diese Pronominaladverbien sind sehr praktisch – leider geraten sie an einigen Stellen aus der Mode, gerade die mit ›wo‹ gebildeten.« – »Und an was liegt das Ihrer Meinung nach?« – »An falschen Vorbildern. Zum Beispiel daran, dass viele Radiosender keinen Wert auf grammatische Feinheiten legen und sich der Umgangssprache bedienen, um frisch und jung zu wirken.« Der Reporter spricht das Schlusswort: »Dann bekommen wir in Ihrer Kolumne also demnächst was über ... prominente Verben zu lesen. Da freue ich mich schon drauf. Vielen Dank für dieses Gespräch!«
Auch ich bin voll des Dankes für das Gespräch, liefert es mir doch gleich ein halbes Dutzend Beispiele für den Rückgang der mit »wo« gebildeten Umstandsfürwörter. Möglicherweise werden diese Umstandsfürwörter von vielen eher als umständliche Fürwörter empfunden, das würde ihr Verschwinden aus der Alltagssprache erklären; dennoch gelten »woran«, »womit« und »wofür« nach wie vor als die bessere Wahl; die Formen »an was«, »mit was« und »für was« sind umgangssprachlich und sollten in Aufsätzen und Briefen ebenso vermieden werden wie in Fernsehsendungen und Radiobeiträgen.
Im norddeutschen Raum lässt sich eine starke Tendenz zum Auseinanderreißen der Pronominaladverbien feststellen.Statt »Dagegen habe ich nichts« sagt mancher Hamburger gern: »Da habe ich nichts gegen!« Wenn man sich in Schleswig-Holstein einer Sache absolut sicher ist, dann sagt man nicht »Darauf kannst du Gift nehmen«, sondern »Da kannst du Gift drauf nehmen!«. Wobei »drauf« ja die verkürzte Form von »darauf« ist
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